Heute habe ich die Weinberge westlich von Tübingen oberhalb der Ortschaft Hirschau besucht. Bei der Kontrolle einiger Weinbergmauern fand ich zahlreiche Weibchen der unscheinbaren Art Lasioglossum laticeps, die in den Fugen der Mauern bzw. im Erdreich hinter der Mauer ihre Nester anlegen. Solches hatte ich auch schon in den 1970er Jahren, als ich das Gebiet im Rahmen meiner Doktorarbeit intensiv untersuchte, beobachtet. Auch am Rande der Tübinger Altstadt fand ich Lasioglossum laticeps in Mauern nistend. Dabei handelte es sich allerdings um die Mauern älterer Häuser, wo sich die Nesteingänge meist am Mauerfuß fanden. In den Gärten zwischen den Häusern findet die polylektische Art ausreichend Nahrung.
Eine alte Trockenmauer auf der Gipskeuper-Stufe bei Tübingen-Hirschau. Bei den gelben Polstern auf der Mauerkrone handelt es sich um Frühlings-Fingerkraut (Potentilla verna). An der Mauer flogen am 3. April zahlreiche Weibchen von Lasioglossum laticeps, von denen einige bereits mit Pollen zu ihrem Nest zurückkamen, das in einer lehmgefüllten Fuge oder hinter der Mauer angelegt wird. In Weinbergen und auf terrassiertem, magerem Grünland, wie es sich im südwestdeutschen Hügelland vielfach findet, sind Trockenmauern als Nistplätze auch für andere Wildbienen wichtig. So konnte ich am Hirschauer Berg mehrfach auch Osmia ravouxi (Französische Mauerbiene) beobachten, wie sie ihre Brutzellen aus Mörtel und kleinen Steinchen auf der Oberfläche der Steine baute. Trockenmauern können allerdings nur dann als Nistplatz genutzt werden, wenn es in der Umgebung ein ausreichendes Nahrungsangebot gibt.
Weibchen von Lasioglossum laticeps haben bereits in der lehmgefüllten Mauerfuge Nestgänge ausgeschachtet. Das lockere Erdmaterial blieb auf der Fuge liegen. Die Art ist primitiv eusozial. Die Nestgründung erfolgt durch ein Weibchen. Sie resultiert in der Produktion von Arbeiterinnen, die nur wenig kleiner sind als ihre Mutter. Männchen fliegen von Ende Juni bis Ende August. (Die primitiv eusoziale Lebensweise wird hier näher erläutert.)
Ein pollenbeladenes Weibchen von Lasioglossum laticeps ist vom Sammelflug heimgekehrt und wird im nächsten Augenblick in eines der Nester in der Mauer kriechen, um dort den Pollen in einer Brutzelle zu deponieren. Auf dem Foto des Tieres, das eine Körperlänge von nur 6-8 mm hat, ist der breite Kopf zu erkennen. Diese Eigenschaft hat der Art ihren wissenschaftlichen Namen verliehen. Lateinisch laticeps = Breitkopf, daher mein Vorschlag für einen deutschen Namen: Breitkopf-Schmalbiene.
Auch auf diesem Foto ist der breite Kopf des Weibchens zu sehen. Das Tier besuchte hier die Blüten des Blaukissens (Aubrieta deltoidea), das auf den Mauerkronen der Weinberge reichlich blühte und auch als Pollenquelle genutzt wurde. Einen vergleichlich breiten Kopf hat auch Lasioglossum malachurum (Pförtner-Schmalbiene). Beide Arten sind eng mit einander verwandt.
Ein Weibchen von Lasioglossum laticeps beim Pollensammeln in der Blüte des Frühlings-Fingerkrauts (Potentilla verna), das in der Umgebung vielfach auf Mauerkronen blüht. In diesem Falle und für den Blühzeitraum des Fingerkauts dient die Weinbergmauer sogar als Gesamtlebensraum.
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