Die Hautflügler-Familie der Leucospididae gehört zur Überfamilie der Erzwespen (Chalcidoidea) und enthält weltweit vier Gattungen: Leucospis, Micrapion, Neleucospis und Polistomorpha. In Mitteleuropa kommt nur die Gattung Leucospis vor, die nur wenige, verhältnismäßig große, auffällig schwarzgelb gefärbte und in der Regel selten beobachtete Arten aufweist. Diese zeichnen sich durch stark verdickte, bezahnte Hinterschenkel und im weiblichen Geschlecht durch einen über den Rücken des Abdomens nach vorn gebogenen Legebohrer aus. Die Vorderflügel sind wie bei den Faltenwespen in Ruhe längsgefaltet (deutscher Familienname). Nach bisheriger Kenntnis sind die Arten Parasitoide in den Nestern solitärer Bienen.
Aus Deutschland sind bisher die drei Arten Leucospis dorsigera, Leucospis gigas und Leucospis intermedia bekannt. In der Schweiz und in Österreich kommt außer diesen mit Leucospis biguetina noch eine vierte Art vor.
Leucospis dorsigera ist in Mitteleuropa weit verbreitet, wird aber meist nur einzeln beobachtet. Eine Verbreitungskarte gibt Schmidt (1969).
Diese Art schmarotzt bei verschiedenen nestbauenden Vertretern der Familie Megachilidae (u.a. Anthidium strigatum, Osmia adunca, Osmia bicornis, Osmia tridentata). [Hesami et al. 2005 berichten über eine Entwicklung als Hyperparasitoid von Osphranteria caerulescens, einem Bockkäfer, über Xorides corcyrensis, einer Schlupfwespe. Dies erscheint sehr ungewöhnlich, vergleicht man dies mit den bislang bekannten Wirten von L. dorsigera und der Biologie der anderen Leucospis-Arten.]
Zur Eiablage wird nie der noch unverschlossene Nesteingang genutzt, vielmehr suchen die Weibchen in der Regel Zellen mit älteren Wirtslarven und bohren die Brutzellen seitlich durch das umgebende Holz oder die verholzte Stengelwand an, was bis zu 20 Minuten dauern kann. (Im Falle von als Nisthilfen gebündelten Schilfhalmen kann es vorkommen, daß Weibchen auch eine Eiablage durch den fertigen Nestverschluß versuchen, was aufgrund des dahinter befindlichen Leerraums nicht zu einer erfolgreichen Larvalentwicklung führen dürfte.) Das ausgesprochen schlanke Ei wird in den Wirtskokon abgelegt. Nach dem Schlüpfen tötet die Larve zunächst eventuell vorhandene arteigene Konkurrenten, begibt sich dann auf die Wirtslarve und saugt diese vollständig aus. Ein eigener Kokon wird nicht gesponnen. Die Überwinterung erfolgt im Stadium der Ruhelarve.
Hier gibt es ein Video über die faszinierende Eiablage von Leucospis dorsigera!
Ein Weibchen von Leucospis dorsigera prüft an der Außenwand eines Holzblocks mit Brutzellen von Osmia adunca (Glänzende Natterkopf-Mauerbiene), wo es seinen Bohrer für die Eiablage ansetzen soll. In dieser Phase liegt der Legebohrer noch über dem Hinterleib.
Das Weibchen hat eine geeignete Stelle gefunden und hat begonnen, seinen Legebohrer in das Holz bis in das Innere einer Brutzelle zu treiben. Beachte die enorme Dehnung der Hinterleibssegmente.
20 Minuten und länger dauert der Bohrvorgang. Hier hat das Weibchen seinen Legebohrer vollständig ins das Holz getrieben und legt nun das Ei ab.
Das ausgesprochen schlanke Ei von Leucospis dorsigera in einem Kokon der in markhaltigen Pflanzenstengeln nistenden Osmia tridentata (Dreizahn-Mauerbiene).
Eine Larve von Leucospis dorsigera frißt die Ruhelarve von Osmia tridentata, die bereits einen Kokon für die Überwinterung gesponnen hatte.
Leucospis dorsigera beim Nektarerwerb auf Wilder Möhre (Daucus carota).
Die größte der heimischen Leucopis-Arten ist weitaus seltener als Leucospis dorsigera, wurde aber nicht nur in der Schweiz und in Österreich, sondern auch in Deutschland nachgewiesen (siehe weiter unten).
Verhalten und Entwicklung wurden bereits von Fabre (1886) beschrieben. Die Hauptwirte in Mittel- und Südeuropa sind Mörtelbienen der Gattung Megachile wie Megachile parietina, M. pyrenaica, M. sicula und M. hungarica. Angaben über Wirte aus anderen Bienengattungen (Osmia, Anthophora) halte ich eher für zweifelhaft (siehe Boucek 1974: 152f). Die Weibchen erscheinen im Juni, nachdem die Wirte ihre Nester fertiggestellt und die Wirtslarven ihren Futtervorrat verzehrt haben. Die Oberfläche der sehr harten Mörtelbienen-Nester wird wie bei Leucospis dorsigera mit den Antennen betrillert. Sobald eine für die Eiablage geeignete Zelle gefunden wurde, wird der lange Legebohrer zur Eiablage durch die harte Außenwand in die Brutzelle getrieben. Der ganze Vorgang dauert zwischen 20 und 60 Minuten. Einzelne Ruhelarven der Leucospis überliegen und schlüpfen daher erst nach zwei oder sogar erst nach drei Jahren (Bürgis 1995). Die Imagines sind in der Lage, sich mit ihren Mandibeln durch die harte Wand der Brutzelle und der Außenwand hindurchzunagen. Die Vermehrung scheint in weiten Teilen des Verbreitungsgebiets parthenogenetisch zu sein. Nur vereinzelt wurden auch Männchen gefunden.
Leucospis gigas. Ein Weibchen bei der Eiablage in eine Brutzelle der Schwarzen Mörtelbiene (Megachile parietina). CH, Kanton Wallis, bei Leuk. 16. Juli 1993.)
Ein angeblicher Nachweis bei Mainz nach einer Angabe von Latreille wurde immer bezweifelt (vgl. Schmidt 1969), obwohl rein geographisch ein Vorkommen nie auszuschließen war, da die Art in Frankreich nordwärts bis zu den Ardennen vorkommt (Cavro 1954). Ein erster zweifelsfreier Nachweis gelang Gauss 1970 bei Ketsch am Rhein, wo er ein Weibchen fing. Die entsprechende Meldung ist nachfolgend wiedergegeben.
Das Belegexemplar befindet sich in der Sammlung des Staatl. Museum für Naturkunde Stuttgart. Es handelt sich zweifelsfrei um ein Weibchen von Leucospis gigas. Unter dem Exemplar stecken das charakteristische Determinationsetikett von Gauss und das Etikett mit dem Fundort. Herr Dr. Krogmann hat die Determination bestätigt.
Das von Gauss 1970 bei Ketsch gefangene Exemplar im Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart.
In der Sammlung dieses Museums steckt aber noch ein weiteres Exemplar (Weibchen) aus Deutschland. Es ist mit dem dazugehörigen Etikett (Größe 4,2 x 1,5 cm) abgebildet.
Demnach wurde das Tier vermutlich 1878 in oder bei Bad Wimpfen gefangen, einer Kurstadt am Neckar im Landkreis Heilbronn. Der Name des Sammlers lautet Scriba. Höchstwahrscheinlich handelt es sich um den gleichen Insektensammler, dessen im Naturkundemuseum Stuttgart aufbewahrte Käfersammlung im Zweiten Weltkrieg verlorenging (Lindner 1966).
In diesem wie im Falle des Fundes bei Ketsch stellt sich die Frage, wer die Wirte der beiden Nachweise in Deutschland waren. Von der Rheininsel Ketsch wurde nie ein Nachweis von Megachile parietina bekannt. Der Bad Wimpfen am nächsten, ca. 25 km entfernt liegende Fundort der Schwarzen Mörtelbiene ist Besigheim, wo Gerstner 1905 insgesamt 8 Weibchen gesammelt hat (coll. Naturkundemuseum Stuttgart). Megachile parietina war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Baden-Württemberg viel weiter verbreitet als heute und kam auch im Siedlungsbereich vor. Warum sollte daher nicht auch Leucospis gigas vereinzelt aufgetreten sein?
Der bislang einzige Nachweis aus Deutschland wurde von Madl (1990) gemeldet. Er stammt von Riedenburg in Bayern, von wo E. Stöckhert ein Weibchen aus Osmia mustelina (bei Madl als Osmia emarginata Lep.) gezogen hat.
Die Art, die zur Leucospis-gigas-Artengruppe gehört, kommt auch in der Schweiz und in Österreich vor.
Diese von Spanien bis in den Nord-Kaukasus und in den Iran verbreitete Art wurde noch nicht in Deutschland, aber in der Schweiz (Wallis) (Boucek 1974) und in Österreich (Madl 1989) nachgewiesen. Die Wirte sollen Bienen und Grabwespen sein (Baur & Amiet 2000, Le Goff 1997).
Baur, H. & Amiet, F. (2000): Die Leucospidae (Hymenoptera: Chalcidoidea) der Schweiz, mit einem Bestimmungsschlüssel und Daten zu den europäischen Arten. – Revue Suisse de Zoologie 107: 359–388.
Boucek, Z.R J. (1974): A revision of the Leucospidae (Hymenoptera: Chalcidoidea) of the world. – Bull. Br. Mus. nat. Hist. (Ent.), Suppl. 23, 241 S.
Bürgis, H. (1995): Leucospis gigas (Chalcidoidea: Leucospidae) als Parasit der Mörtelbiene Megachile sicula (Apoidea: Megachilidae). – bembix 5: 27–32.
Cavro, E. (1954): Catalogue des Hyménoptères du Département du Nord et régions limitrophes III. Terebrants, 134 S.; Lechevalier, Paris.
Fabre, J. H. (1886): Souvenirs entomologiques. Les Leucospis. Sér. 3, S. 155–177.
Gauss, R. (1974): Zweiter Nachtrag zur Hautflüglerfauna im badischen Raum. – Mitt. bad. Landesver. Naturkunde u. Naturschutz N.F. 11: 197–201.
Hesami, S., Akrami, M.A- & Baur, H. (2005): Leucospis dorsigera Fabricius (Hymenoptera, Leucospidae) as a hyperparasitoid of Cerambycidae (Coleoptera) through Xoridinae (Hymenoptera: Ichneumonidae) in Iran. – Journal of Hymenoptera Research 14(1): 66–68.
Le Goff, G. (1997): Note on the nesting in common giant fennel of Apoidea Anthophoridae and Megachilidae from Roussilon (Hymenoptera Apoidea): Second part. – Entomologiste, Paris 53(6): 259–269.
Lindner, E. (1966): Die Entomologische Abteilung des Staatlichen Museums für Naturkunde in Stuttgart in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. – Jahreshefte des Vereins für vaterländische Naturkunde Württemberg 122: 23–29.
Madl, M. (1989): Zur Kenntnis der paläarktischen Leucospis-Arten unter besonderer Berücksichtigung der Fauna Österreichs (Hymenoptera, Chalcidoidea, Leucospidae). – Entomofauna 10: 197–201.
Madl, M. (1990): 2. Beitrag zur Kenntnis der paläarktischen Leucospis-Arten unter besonderer Berücksichtigung der Fauna Österreichs (Hymenoptera, Chalcidoidea, Leucospidae). – Linzer biol. Beitr. 22: 81–87.
Schmidt, K. (1969): Beiträge zur Kenntnis der Hymenopterenfauna des Mittelrheingebietes, insbesondere des Mainzer Sandes. Gasteruptionidae (Evanioidea), Leucospididae, Chalcididae, Perilampidae und Ormyridae (Chalcidoidea). – Mainzer naturw. Archiv 8: 292–302.
Vidal, S. (2001): Chalcidoidea. S. 60 in: Dathe, H.H., Taeger, A. & Blank, S.M.) (Hrsg.), Entomofauna Germanica, Band 4. Verzeichnis der Hautflügler Deutschlands. – Entomologische Nachrichten und Berichte, Beiheft 7.
Westrich, P. (1983): Die Bienen Baden-Württembergs. I. Megachilidae (Hymenoptera, Apoidea). – Stuttgarter Beitr. Naturkunde, Ser. A, Nr.363, 50 S.
In manchen Werken (u.a. Boucek 1974, Baur & Amiet 2000) wird der Name Leucospidae für die Familie verwendet, während ich den Namen Leucospididae hier und in meinem Werk »Die Wildbienen Deutschlands« bevorzuge. Die Meinung in Wikipedia, Leucospididae sei eine falsche Schreibweise, ist nicht bindend. Ich habe mich mit zahlreichen Veröffentlichungen beschäftigt, in denen die Familie behandelt wird, so z.B. mit Walker, Boucek und Schletterer. Die Russische Fauna, der Catalog of the Hymenoptera of America north of Mexico, discoverlife.org, die japanische Fauna, das Lexikon der Biologie und einige weitere Autoren wie z.B. Konrad Schmidt verwenden Leucospididae, vermutlich würden sie so wie ich argumentieren. Leucospis ist der für die Familie namengebende Gattungsname und dessen Genetiv lautet nach der griechischen Grammatik Leucospidis; der Familienname wird aus dem Genetiv gebildet. Ich habe in vielen Schriften der Autoren des 18. und 19. Jahrhunderts gelesen und halte es für wahrscheinlich, daß Fabricius, auch wenn wir von ihm nichts darüber erfahren, den Namen aus beiden Wörtern leucos = weiß und aspis = Schild gebildet hat. Interessanterweise nennen Walker und Ashmead die Unterfamilie Leucospidinae und auch das beruht auf dem Genetiv Leucospidis. Identisch ist die Familiennamenbildung bei Chalcis, Chalcidis, daher Chalcididae. Würde man hier so wie bei Leucospidae verfahren, würde die Familie Chalcidae und die Überfamilie Chalcoidea heißen, aber niemand nennt sie so. Die Chalcidoidea Database zitiert unter den References übrigens Akinobu Habu, den Autor der japanischen Fauna, falsch, da im Titel seines Buch Leucospididae, nicht Leucospidae steht.
Dank
Herrn Dr. Lars Krogmann (Staatl. Museum für Naturkunde Stuttgart) danke ich für die Möglichkeit, das Belegmaterial zu untersuchen und zu dokumentieren.
19. Dezember 2012, ergänzt am 27. August 2021.