Ufersteilwand am Tagliamento (Norditalien)
Die Steilwandbewohner lebten ursprünglich in den Auen der Wildflüsse. Dort nisteten sie in Uferabbrüchen wie wir sie heute noch z. B. am Tagliamento in Norditalien, dem letzten Wildfluß Mitteleuropas (oben) finden. Typische Beispiele sind die Vierbindige Furchenbiene (Halictus quadricinctus), die Blauschillernde Sandbiene (Andrena agilissima) und die Schmalbienenart Lasioglossum quadrinotatulum. Als Ersatzlebensräume werden in der Kulturlandschaft auch Hohlwege mit sonnenbeschienenen Steilwänden, Weinberge mit Lößwänden oder aufgelassene Sand- und Lehmgruben besiedelt.
Lößwand im Kraichgau.
Für solchermaßen spezialisierte Arten haben die Nistgelegenheiten in den letzten Jahrzehnten enorm abgenommen. Einige Arten wie die Frühlings-Pelzbiene (Anthophora plumipes), die Vierfleck-Pelzbiene (Anthophora quadrimaculata), die Buckel-Seidenbiene (Colletes daviesanus) und die Lamellen-Maskenbiene (Hylaeus hyalinatus) sind vor langer Zeit in die Siedlungen eingewandert, um hier ihre Nester in Gemäuern, die mit Kalkmörtel verfugt wurden, zu bauen. Aber auch diese Nistplätze haben durch moderne Bauweisen und die Verwendung von Zementmörtel rapide abgenommen. Ein adäquater Ersatz ist innerhalb der Siedlungen kaum zu schaffen, aber zumindest im Kleinen ist etwas machbar.
Künstliche Lößwand ím Garten des Autors (seit über 20 Jahren alljährlich besiedelt).
Vorgehensweise: Ein asbestfreier Eternit-Blumenkasten (»Zementfaserkasten«) von etwa 60 cm Länge, 15 cm Breite und mindestens 15 cm Tiefe wird vollständig mit Löß (!) möglichst in seiner natürlichen Sedimentstruktur gefüllt. Ersatzweise tun es auch Hohlsteine zum Bau von Trockenmauern oder ein entsprechend großer Kasten aus massivem Holz. Am besten ist es, ganze Stücke dieses Lockergesteins mit seiner natürlichen Sedimentstruktur in der für den Hohlraum passenden Größe mit einem Spaten abzustechen und einzusetzen. In die Zwischenräume wird feuchtes Löß-Material gedrückt. Man sollte bevorzugt deshalb anstehenden Löß wählen, weil die Sedimentstruktur viel leichter durch Regen gelöst und weggespült wird, wenn sie einmal zerstört ist. Es versteht sich von selbst, daß sich die Entnahme von Löß nur dort empfiehlt, wo er natürlicherweise im Überfluß vorhanden ist und wo kein wertvoller Lebensraum beeinträchtigt wird (z. B. von einer Baustelle). In das Sediment wird mit einem Bohrer pro Kasten (d. h. je 1/10 m2) ein kurzer Gang von 5–8 mm Durchmesser geschaffen. Diese Gänge sind nicht für Hohlraumbesiedler gedacht, auch wenn sie von ihnen gelegentlich genutzt werden. Die dunklen Löcher üben eine magische Anziehungskraft auf grabende Wildbienen-Arten, z. B. Pelzbienen, aus. Diese sollen nämlich angelockt werden, hineinkriechen und am Ende mit dem Graben ihres eigenen Nestganges beginnen. Fünf solcher Kästen übereinandergestapelt ergeben mit ihren lößgefüllten Seiten als Front eine Mini-Steilwand, die an einer südexponierten Stelle der Hauswand oder der Gartenmauer aufgestellt wird (das obere Bild zeigt meine eigene Steilwand). Zum Schutz gegen Regen wird sie von oben zusätzlich mit einem Brett oder einer durchsichtigen Acrylglasplatte abgedeckt. Notfalls kann man auch stabile Holzkästen entsprechender Größe verwenden, die jedoch im Gegensatz zu den Eternitkästen viel schneller verrotten, es sei denn, man stellt sie regensicher auf. Wenn der Platz oder das Material nicht reichen, ist schon ein solches Steilwandelement sinnvoll, denn selbst größere Brocken aus Löß oder sandigem Lehm werden von den entsprechenden Bienenarten gefunden und besiedelt.
Dieser Brocken aus Löß, den ich im Frühsommer 2019 aus dem Kaiserstuhl mitgebracht und an einer regengeschützten Stelle am Haus abgelegt hatte, wurde bald danach von 10 Weibchen der Buckel-Seidenbiene (Colletes daviesanus) besiedelt. 2020 erhöhte sich die Zahl der Weibchen auf 22! Dies zeigt, wie wichtig die Verfügbarkeit artspezifischer Nistplätze ist.
Wenn kein Löß zur Verfügung steht, kann man ersatzweise auch sandigen Lehm nehmen und schichtweise die für die kleine Steilwand vorgesehene Hohlform damit befüllen. Pelzbienen (z. B. Anthophora plumipes) nehmen solch eine Nistmöglichkeit durchaus an. Allerdings ist die Zahl der Bienenarten, die solche »Steilwände« besiedeln, deutlich geringer als bei der Verwendung von Löß und ein Substrat mit der richtigen Zusammensetzung zu finden, kann schwierig sein. Selbst Lehm mit Sand durch Mischung abzumagern führt meistens nicht zum gewünschten Ergebnis. Manchmal ist es daher ratsam, auf solch ein Nistangebot ganz zu verzichten, weil es ja genügend andere Möglichkeiten einer Förderung von Wildbienen gibt.
Ton oder fetter Lehm, Materialien, die auf manchen Websites und in manchen Schriften für den Bau einer künstlichen Steilwand empfohlen werden und wie ich sie schon mehrfach unbesiedelt gesehen habe, sind auf keinen Fall geeignet, da sie zum Graben von Nestgängen nach dem Trocknen viel zu hart sind. Wenn Löcher in solch toniges Material hineingedrückt werden, wie ich es bei Löß oder sandigem Lehm in geringer Zahl als Substrate zur Erhöhung der Attraktivität empfehle, können diese nur von Hohlraumbewohnern wie Mauerbienen (Osmia bicornis, Osmia cornuta) genutzt werden. Damit wäre aber der eigentliche Sinn und Zweck solcher Steilwände verfehlt, die Ansiedlung grabender Arten nämlich.
Ein geeignetes Substrat hingegen läßt sich mit dem Fingernagel leicht abschaben (testen!). Weidenruten-Lehmwände, die ebenfalls viel zu hart werden, sind demnach zur Ansiedlung oder Förderung grabender Bienenarten (und anderer Stechimmen dieser Gilde) wertlos.
Eine in meinen »Steilwänden« regelmäßig nistende Art ist die grün-metallisch schimmernde Schmalbienenart Lasioglossum nitidulum, die auch gerne Mörtelfugen in Mauern besiedelt
Auch die Vierfleck-Pelzbiene (Anthophora quadripunctata) nistet seit vielen Jahren in meiner künstlichen Lößwand auf der Südseite des Hauses. Das Bild zeigt ein Männchen mit seinen charakteristisch grünen Komplexaugen.
Seit vielen Jahren nistet auch die Buckel-Seidenbiene (Colletes daviesanus), hier ein Männchen, in meiner kleinen Lößwand.
Ein Weibchen der Frühlings-Pelzbiene (Anthophora plumipes) vor dem Nest.
Das folgende kurze Video (15 MB) zeigt ein Weibchen der Buckel-Seidenbiene (Colletes daviesanus), das mit viel gesammeltem Pollen vor seinem Nest landet, das es in meiner Lößwand angelegt hat.
Außerhalb des Siedlungsbereichs gibt es eine ganze Reihe weiterer, teils sehr seltener Arten, die an Steilwände als Nistplatz gebunden sind. In den Gärten sind am ehesten die nachfolgend genannten Arten anzutreffen.
Unter den solitären Faltenwespen nimmt Odynerus spinipes das Steilwandangebot gerne an.