Nistplatz von Andrena vaga und Aktionsraum von Stylops spec. in einer aufgelassenen Kies- und Sandgrube bei Fronreute im Landkreis Ravensburg. Um eine weitere Beschattung durch die bereits weit fortgeschrittene Sukzession mit Weiden, Birken und vor allem Kiefern zu verhindern, ist eine maschinelle Pflegemaßnahme notwendig. (22. Februar 2020).
Lange habe ich vergeblich nach einer Lokalität gesucht, die in erreichbarer Entfernung von meinem Wohnsitz liegt und wo ich Fächerflügler (Stylops) bei der Paarung beobachten kann. Die Entfernung spielt insofern eine Rolle, weil die nach dem Schlüpfen aus dem Hinterleib des Wirtes nur wenige Stunden lebenden Männchen dieser parasitischen Gattung nur in einem sehr kurzen Zeitraum und einige Zeit vor dem Schlüpftermin nichtstylopisierter Weibchen aktiv sind. Um eine realistische Beobachtungsmöglichkeit zu haben, muß man an einem trockenen Vorfrühlingstag, an dem die Lufttemperatur durchaus nur 7 °C betragen kann, einen gut besiedelten Nistplatz aussuchen, vorzugsweise einen der häufigen und in größeren Kolonien nistenden Andrena vaga. Die Chancen steigen, wenn die Sonne den Nistplatz bescheint und die obere Bodenschicht erwärmt und es möglichst windstill ist. Man sollte daher gut auf die Wetterentwicklung achten und die manchmal nur wenigen trockenen und ausreichend warmen Tage des Vorfrühlings nutzen.
Am 22. Februar 2020 hatte ich mit der Unterstützung von Uli Maier (Ravensburg), der Stylops-Männchen bereits am Vortag beobachtet hatte, die Möglichkeit, den Nistplatz zu besuchen und zu versuchen, Paarungen des Parasiten zu entdecken und auf Fotos oder filmisch zu dokumentieren. Das Ergebnis ist nachfolgend zu sehen.
Die ersten Exemplare von Andrena vaga und ein einzelnes Stylops-Männchen erschienen etwa um 12.30 Uhr. Doch erst gegen 13.30 Uhr waren mehrere Stylops-Männchen zu sehen. Diese flogen in raschem Flug über den Nistplatz und setzten sich hin und wieder auf den Boden oder auf dürres Gras. Sie sind nur wenige Millimeter groß, fallen aber durch ihre nur mit Längsadern versehenen, häutigen Flügel auf. Während ihres unruhigen Flugs sind sie leicht aus den Augen zu verlieren und mit kleinen Fliegen zu verwechseln. Windstille scheint wichtig zu sein, da die Winzlinge leicht verweht werden können und dann keine paarungsbereiten Geschlechtspartner mehr finden. Paarungen konnten wir nur in einem kurzen Zeitfenster von einer Viertelstunde beobachten. Um 15.30 Uhr ließ die Flugaktivität stark nach und wir beendeten unsere Beobachtungen.
Das folgende Video (1 min, 124 MB) zeigt zunächst den Versuch eines Männchens von Andrena vaga, ein Weibchen zu begatten, doch dieses befreit sich aus der Umklammerung und fliegt davon. Dann sehen wir am Hinterleib eines Männchens von Andrena vaga ein Männchen von Stylops spec. in Kopula mit einem Weibchen, das zwischen den Segmenten des Wirtes steckt. Gegen Ende der Sequenz läuft das Andrena-Männchen davon, wobei das Stylops-Männchen am Ende des Hinterleibs gut zu sehen ist. Die Aufnahmen wurden von 13.55 Uhr bis 14.02 Uhr gemacht. – Das Video kann auch im Vollbildmodus abgespielt werden.
Die folgende Galerie zeigt ein rastendes Männchen von Stylops sowie Weibchen und Männchen von Andrena vaga mit Stylops-Paarungen und Kopf und Brust eines Stylops-Weibchen, die aus dem Abdomen herausragen. [Eine vergrößerte Darstellung ist durch einen Klick auf das Quadrat rechts oben möglich.]
Die Insektenordnung der Fächerflügler (Strepsiptera) wird hier behandelt. Sie ist auch in meinem Werk »Die Wildbienen Deutschlands« (Westrich 2019) mit ihrer Biologie beschrieben (S. 245–247). Dort finden sich weitere Literaturangaben. Jüngst wurden die Strepsiptera der Niederlande von Smit et al. (2020) bearbeitet und u.a. anhand von DNA-Barcodesequenzen phylogenetisch und taxonomisch neu bewertet. Die Autoren folgen weitgehend Straka et al. (2015), die die Zahl der Stylops-Arten in Europa von 1 (Aufffassung von Kinzelbach 1978) auf 30 erhöht haben. Offenbar stützt sich das dieser Auffassung zugrunde liegende Artkonzept auf Untersuchungen der DNA-Barcodes. Danach soll es sich bei dem bei Andrena vaga schmarotzenden Stylops um Stylops ater Reichert 1914 handeln (ein Name, der von Kinzelbach nicht erwähnt wurde, während Löwe et al. 2016 für dieses bei Andrena vaga schmarotzende Taxon das Synonym Stylops ovinae verwenden). In der ursprünglichen Fassung der vorliegenden Webpage hatte ich die Art unter dem Namen Stylops melittae Kirby 1802 aufgeführt und mich nach Kinzelbach (1978) gerichtet, da ich mich selbst nicht mit der Taxonomie der Gattung Stylops beschäftigt habe. Wenn man den jüngeren Autoren folgt, deren Auffassung bzw. Artkonzept mit einer so starken Gewichtung des DNA-Barcodings (ein Merkmal!) durchaus hinterfragt werden sollte, dann wären in meinem Werk in der Tabelle der Wirte auf S. 247 anstelle Stylops melittae mehrere Stylops-Arten mit ihren unterschiedlichen Andrena-Wirten aufzuführen. Auf jeden Fall fehlt in der Tabelle Andrena vaga als Stylops-Wirt und sollte daher hinzugefügt werden.
Dirk Lankenau hat auf einem seiner vielen Alben Fotos eines Stylops-Männchens und eines stylopisierten Andrena-Weibchens. Die Bilder wurden mit Hilfe der Photostacking-Technik erstellt.
Katrin Kunkel hat mir zwei kleine Videos geschickt, die sie am 5. März 2020 im nördlichen Mecklenburg-Vorpommern aufgenommen hat. Ich habe sie in ein 35 sec dauerndes Video gepackt (54 MB). Bitte auf das Bild klicken. Das Video zeigt zunächst zwei frisch geschlüpfte Männchen, die auf dem Boden herumflattern, anschließend ein Männchen, das sich mit seinem im Hinterleib von Andrena vaga befindlichen Weibchen paart.
Kinzelbach, R.K. (1978): Fächerflügler (Strepsiptera). S. 1–166. In: Senglaub, K., Hannemann, H.-J.& Schumann, H. (Hrsg.): Die Tierwelt Deutschlands, 65. Teil. Gustav Fischer, Jena, 166 pp.
Löwe, S., Beutel, R.G. & Pohl, H. (2016): The female cephalothorax of Stylops ovinae Noskiewicz & Poluszyński, 1928 (Strepsiptera: Stylopidae). – Arthropod Systematics & Phylogeny 74: 65–81.
Smit, J. T., Smit. J., Raemakers, I. P. & van der Hoorn, B. (2020): The Strepsiptera of the Netherlands revisited (Insecta). – entomologische berichten 80 (1): 8–30.
Straka, J., Juzová, K. & Nakase, Y. (2015): Nomenclature and taxonomy of the genus Stylops (Strepsiptera): an annotated preliminary world checklist. – Acta Entomologica Musei Nationalis Pragae 55: 305–332.
Westrich, P. (2019): Die Wildbienen Deutschlands.– 2. Auflage, 824 S., 1700 Farbfotos. Stuttgart (E. Ulmer).
Dank: Ulrich Maier danke ich sehr dafür, daß er mir schon 2019 von Andrena vaga gut besiedelte Nistplätze mitgeteilt hat, und für die »termingerechte« Stylops-Kontrolle des oben zu sehenden Nistplatzes. Hans-Jürgen Martin hat mich dankenswerterweise auf die neue Publikation aus den Niederlanden aufmerksam gemacht. Katrin Kunkel hat mir freundlicherweise schon im vergangenen Jahr von Stylops-Beobachtungen berichtet.
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