Die Fächerflügler sind eine Insektenordnung, die nach neueren genetischen Untersuchungen als Schwestergruppe der Käfer gilt (Wiegmann et al. 2009). [In der phylogenetischen Systematik bezeichnet man zwei Taxa, die eine nur ihnen gemeinsame Stammart haben, als Schwestergruppen.] Sie zeichnen sich durch die weitgehend innenparasitische Lebensweise der meisten Entwicklungsstadien und durch den starken Geschlechtsunterschied aus. Die Wirtstiere der Fächerflügler sind ausschließlich andere Insekten verschiedenster Gruppen. Die Vertreter der Familie Hylecthridae sollen in Bienen der Familie Colletidae, z. B.in Maskenbienen (Hylaeus) schmarotzen, die Stylopidae in verschiedensten Hautflüglern (Kinzelbach 1969, 1970, 1971, 1978, Smit et al. 2020). Gauss (1959) hat über die Morphologie und Biologie dieser interessanten Kerbtierordnung berichtet. Die aus Baden bekannten, von Strepsipteren befallenen Bienenarten hat ebenfalls Gauss (1967) zusammengestellt. Während Kinzelbach (1978) alle bis dahin beschriebenen Taxa von Stylops als eine einzige Art Stylops melittae mit einem breiten Spektrum von Andrena-Wirten aufgefaßt hat, gehen andere Autoren (Straka et al. 2015, Smit et al. 2020) aufgrund von DNA-Barcoding-Untersuchungen in Europa von dreißig Arten aus. Ich meine, das zugrunde liegende Artkonzept sollte hinterfragt werden. Vieles bei den Fächerflüglern ist ohnehin noch nicht geklärt und bedarf weiterer Forschung, die allerdings große methodische Probleme aufweist.
Ein stylopisiertes Weibchen der Sandbienenart Andrena vaga. Das Stylops-Weibchen ist als braune Schuppe zwischen den Hinterleibssegmenten zu sehen (Pfeil).
Aus dem etwas angeschwollenen Hinterleib der Sandbienenart Andrena helvola schaut das Kopfbruststück eines Fächerflüglers heraus. Nach Kinzelbach (1978) sollte es sich dabei um Stylops melittae, nach Straka et al. (2015) und Smit et al. (2020) soll der in Andrena helvola schmarotzende Stylops jedoch Stylops nevinsoni heißen.
Die Männchen der Fächerflügler sind nur 1-7,5 mm groß. Ihre an der mächtigen Hinterbrust ansetzenden Hinterflügel sind nur mit Längsadern versehen, werden in Ruhe der Länge nach gefaltet (daher »Fächerflügler«) und nach hinten dem Körper angelegt. Die Weibchen verbleiben wie bei den meisten Strepsipteren zeitlebens in ihrer letzten Larvenhaut und mit ihrem unförmig angeschwollenen Hinterleib im Wirtsinsekt stecken. Ins Freie ragen nur Kopf und Brust. Augen, Fühler, Beine und Flügel fehlen. Die meisten Organe sind zurückgebildet. An dem zwischen den Hinterleibssegmenten des Wirtes herausschauenden Kopfbruststück sind zwei Atemöffnungen (Stigmen) zu erkennen. Auf der Bauchseite liegt die Mündung des Brutraumes, in die eine verschiedene Anzahl von Gebärorganen in Form von Schläuchen mündet, die aus der Leibeshöhle die reifen Larven ins Freie befördern.
Der Lebenslauf eines bei Hautflüglern lebenden Fächerflüglers sieht etwa folgendermaßen aus: Männliche Fächerflügler leben nur wenige Stunden. Als Vollkerfe suchen sie die reifen Weibchen aktiv auf, angelockt durch den vom Weibchen abgegebenen Duft. Zur Begattung stößt das Männchen sein Begattungsorgan in die Mündung des Brutkanals, durchsticht dessen Wand und gibt sein Sperma in die Leibeshöhle ab (Peinert et al. 2016). Die Samenzellen wandern zu den Eiern, die in großer Anzahl frei im Hinterleib des Weibchens liegen. Die bis zu 1 000 zählenden, winzigen (ca. 0,25 mm), Triungulinus-ähnlichen Larven des ersten Stadiums (Primärlarven) verlassen ihre Mutter durch den Brutspalt. Sie können sich bewegen und mit ihren langen Schwanzborsten sogar springen. Die Erstlarve gelangt mit dem Wirt auf Blüten, wo sie sich an einen Artgenossen des Wirts festklammert und von diesem in das Nest eingetragen wird. Dort dringt sie in die junge Wirtslarve ein. In ihr häutet sie sich zum extremitätenlosen, madenartigen 2. Stadium (Sekundärlarve), die durch den Mund Körperflüssigkeit des Wirtes aufnimmt und so als Endoparasit im Wirtsabdomen lebt. Nach fünf Häutungen verläßt sie nur mit dem Vorderende (Kopf und Brustteil) zwischen zwei Segmenten den Wirt, um sich zu verpuppen.
Die Larvenhaut wird zur Puppenhülle (Puparium), die beim Männchen tönnchenförmig, beim Weibchen meist etwas abgeflacht, schüppchenartig, ist. Das männliche Vollinsekt schlüpft im Puparium, streckt dort die Flügel, bis es nach Tagen sein Tönnchen verläßt. Bei den Weibchen ist die letzte Häutung nur noch angedeutet. Die von Strepsipteren befallenen, sogenannten stylopisierten Bienen sind meist steril und sowohl in ihrem Verhalten als auch in ihrer Morphologie verändert. Stylopisierte Imagines erscheinen vor ihren nicht befallenen Artgenossen. So erscheinen von Stylops befallene Andrena vaga an trockenen, meist sonnigen Vorfrühlingstagen wie z. B. am 21. Februar und 26. Februar (eigene Beobachtungen) bzw. 11. Januar, 27. Februar und 10. März (Literaturangaben). Wenn die Bodentemperatur während des Tages 8° C beträgt (Peinert et al. 2016), schlüpfen die Männchen von Stylops kurz darauf.
Zwischen zwei Rückensegmenten (Tergiten) des Hinterleibs der Sandbiene Andrena helvola sind Vorderkopf und Brustteil eines Stylops-Weibchens zu sehen.
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Das ältere Schrifttum ist in meinem Werk »Die Wildbienen Deutschlands« (Westrich 2018, 2019) auf den Seiten 245 bis 247 berücksichtigt. Dort habe ich mich noch an Kinzelbach orientiert. Folgt man Straka et al. (2015) und Smit et al. (2020), sind die Arten der Gattung Stylops und die entsprechenden Wirtsarten in der Tabelle auf S. 247 anzupassen.
Weitere Bilder zur Wirtsbiene Andrena vaga und drei Videos gibt es auf der folgenden Tagebuch-Seite.