Zur Zeit blüht in weiten Bereichen Süddeutschlands das Gewöhnliche Bitterkraut (Picris hieracioides). Bei diesem Korbblütler (Asteraceae), der in die gleiche Verwandschaftsgruppe wie die Wegwarte (Cichorium intybus) und der Wiesen-Löwenzahn (Taraxacum officinale) gehört, besiedelt als zweijährige Pionierpflanze überwiegend Ruderalstellen wie Wege, Dämme, Gruben, Gewerbe‑ und Industriegebiete oder Steinbrüche. Die goldgelben Köpfchen öffnen sich bei sonnigem Wetter früh morgens, schließen sich aber bereits um die Mittagszeit oder bei trüber Witterung. Die ausgesprochen lange Blütezeit (Juli bis Oktober) und die immer wieder neu aufblühenden Köpfchen machen das Bitterkraut zu einer der für Wildbienen bedeutendsten Korbblütler-Arten des Hochsommers. Mir sind bislang 41 heimische Bienenarten bekannt geworden, die diese Pflanze als Pollenquelle nutzen. Deshalb habe ich einige Fotos zusammenstellt, die zusammen mit den Erläuterungen auf diesen Umstand aufmerksam machen sollen.
Bestand des Gewöhnlichen Bitterkrauts vor einer Hauswand in Tübingen-Bühl (30. Juli 2008). Da das Haus derzeit nicht bewohnt ist, gibt es auch niemanden, der diese reich blühenden Pflanzen aus »Ordnungsliebe« beseitigt. Dies geschieht leider allzu oft. Dabei sind viele der sich von selbst einstellenden Pflanzen wertvolle Nahrungsquellen heimischer Wildbienen.
Lasioglossum leucozonium ist eine Schmalbienenart, die häufig beim Pollensammeln in den Bitterkraut-Köpfchen anzutreffen ist. Die Weibchen zeichnen sich durch eine deutliche, breite Behaarung (Basalbinden) auf den Tergiten aus. Seit Jahren kommt diese Art auch in meinem Garten vor.
Weitverbreitet und häufig ist auch die grün-metallisch schimmernde Furchenbienen-Art Halictus tumulorum. Sie ist eine recht anspruchslose Art, die die unterschiedlichsten Lebensräume zu besiedeln vermag und zum Nisten im Erdboden mit allen möglichen Bodenarten vorlieb nimmt.
Halictus scabiosae (Gelbbindige Furchenbiene) hat sich in den vergangenen Jahren in Deutschland stark ausgebreitet. U. Frommer und H.-J. Flügel (2005) hat ihre Ausbreitung ausführlich dargestellt. Im Raum Tübingen habe ich sie in den 1970er Jahren, als ich an meiner Dissertation arbeitete, nie gefunden. Heute kommt sie sowohl in der Neckaraue als auch an den Hängen des Neckartals vor und ich kann sie seit vier Jahren sogar regelmäßig in meinem Garten auf den Härten zwischen Tübingen und Reutlingen (430m üNN) beobachten. Die Art nistet bevorzugt an völlig vegetationsfreien, oft stark verdichteten Stellen in Wegen und auf Plätzen. Mehrere Weibchen gründen gemeinsam ein Nest.
Durch Neubau entstandene Straßenböschung mit reicher Pioniervegetation am Stadtrand von Rottenburg am Neckar (30. Juli 2008). Hier blühen Gewöhnliches Bitterkraut (gelb), Wilde Möhre (weiß), im Bildhintergrund auch Gewöhnliche Kratzdistel (dunkelrot). Darüber hinaus finden sich Wegwarte und Gewöhnlicher Natterkopf. Alle diese Arten sind als Nahrungsquellen für Wildbienen von hoher Bedeutung. Leider wurde die Böschung wohl aufgrund des landschaftspflegerischen Begleitplans mit verschiedenen Sträuchern und Bäumen bepflanzt, so daß sich dieser Lebensraum über kurz oder lang stark verändern wird, zu Ungunsten der Wildbienen. Es ist sehr bedauerlich, daß das Bewußtsein für die Bedeutung solcher Pionier- und Ruderalfluren in den für die Landschaft zuständigen Behörden nach wie vor vielfach fehlt.
Das Bitterkraut wird nicht nur von häufigen, derzeit nicht gefährdeten Bienenarten als Pollenquelle genutzt. Auch seltene Arten wie Andrena polita (Glänzende Sandbiene) profitieren von dem in den Köpfchen reichlich dargebotenenen Pollen. Während die oben dargestellten drei Arten polylektisch sind, ist Andrena polita ganz von dem Vorkommen bestimmter zungenblütiger Korbblütler wie dem Bitterkraut und verwandten Arten abhängig. Im Raum Tübingen gibt es noch eine kleine Population dieser stark gefährdeten Art.
Ganz schwarz und stark glänzend sind Männchen und Weibchen von Panurgus dentipes (Spitzzähnige Zottelbiene). Hier versucht ein Männchen, das Weibchen, das bereits Pollen gesammelt hat, zu begatten. Auch diese Art ist auf zungenblütige Korbblütler als Pollenquelle spezialisiert.
Auch Osmia spinulosa (Bedornte Schneckenhaus-Mauerbiene) nutzt als Korbblütler-Spezialist das Bitterkraut als Pollenquelle. Der Pollen wird in einer sogenannten Bauchbürste auf der Unterseite des Hinterleibs gespeichert. Leere Schneckenhäuser der Gattung Helicella dienen dieser Art als Nistplatz. Sie finden sich in Magerrasen-Komplexen in unmittelbarer Nähe des Wegrands, an dem ich dieses Weibchen gefunden habe.
Leicht kann Heriades truncorum (Gewöhnliche Löcherbiene) mit Osmia spinulosa verwechselt werden, zumal auch diese Art den Pollen auf der Bauchunterseite transportiert. Heriades truncorum (= Osmia truncorum) ist jedoch etwas kleiner und schlanker. Bei der Pollenernte wälzen sich beide Arten kreisförmig durch das Blütenköpfchen und betupfen dabei fortwährend in ganz charakteristischer Weise mit ihrer Bauchbürste die Staubbeutel.
Frommer, U. & Flügel, H.-J. (2005): Zur Ausbreitung der Furchenbiene Halictus scabiosae (Rossi, 1790) in Mitteleuropa unter besonderer Berücksichtigung der Situation in Hessen (Hymenoptera: Apidae). – Mitteilungen des internationalen entomologischen Vereins 30: 51-79; Frankfurt a.M.
Pionierstandorte und Ruderalstellen haben eine hohe Bedeutung für Wildbienen, wie überhaupt viele Bienenarten ohne Prozesse und die dabei entstehenden Ressourcen (Nistplätze, Nahrungspflanzen, Nestbaumaterial) nicht existieren können. Dies gilt umso mehr, als in der früher wildbienenreichen Agrarlandschaft die Vielfalt der Nutzungen derart stark abgenommen und deren Intensität derart stark zugenommen hat, daß immer mehr Arten in die Roten Listen aufgenommen werden müssen.
Anhand der nachfolgenden Bildergalerie können die obigen und zusätzliche Bilder in Großansicht betrachtet werden.
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