Bei einem Besuch im Botanischen Garten der Universität Tübingen fielen mir heute einige kleine Furchenbienen (Halictus) und Schmalbienen (Lasioglossum) auf, die eifrig die Blüten der Blauen Lobelie (Lobelia erinus), auch Männertreu genannt, besuchten. Diese nicht winterharte Zierpflanze wird seit dem 17. Jahrhundert kultiviert und ist eine beliebte niedrigwüchsige oder hängende Sommerblume für Balkonkästen, Kübel oder Rabatte. Sie ist sehr blühfreudig und in verschiedenen Farben (blau, weiß, violett, rosa, rot) erhältlich. Die artenreiche, weltweit verbreitete Gattung Lobelia gehört zu den Glockenblumengewächsen (Campanulaceae), welche die bisweilen auch als eigene Familie aufgefaßten Lobeliaceae einschließt.
Violette, niedrig wachsende Form von Lobelia erinus im systematischen Teil des Botanischen Gartens Tübingen.
Die ursprünglich aus dem südlichen Afrika stammende Lobelia erinus ist selbststeril und braucht demnach die Übertragung des Pollens durch einen Bestäuber. Erreicht wird dies dadurch, daß die Blüten ausgeprägt protandrisch sind, d.h. sie weisen eine männliche Phase auf: Die männlichen Geschlechtsorgane (Staubbeutel) reifen zuerst, der Pollen wird entlassen, bevor der Stempel ausgereift ist. Die weibliche Phase beginnt also deutlich später. In der männlichen Phase fegt die Griffelbürste den Pollen aus der Antherenröhre heraus; in der weiblichen Phase tritt die Griffelspitze aus der Staubbeutelröhre hervor und entfaltet zwei recht große Narbenlappen.
Die Bestäubung erfolgt bei einigen Lobelia-Arten durch Kolibris, bei anderen durch Fledermäuse, bei wieder anderen durch Bienen verschiedener Gattungen. Wer die Bestäuber von Lobelia erinus in Südafrika sind, ist mir nicht bekannt.
Ein Weibchen von Lasioglossum nitidulum ist vollständig in die ca. 5 mm lange Kronröhre geschlüpft, offenbar, um an den tief verborgenen Nektar zu gelangen. Nur noch das letzte Segment des Bienchens mit der typischen furchenartigen Behaarung ist zu sehen. Während des Hineinkriechens wird der ganze Oberkörper mit dem Pollen bestäubt, da sich die Blüte in der männlichen Phase befindet.
Wenige Sekunden später kommt das Weibchen wieder heraus, putzt kurz seine Antennen und fliegt zur nächsten Blüte. Daß die Bienen nicht nur am Nektar, sondern auch am Pollen interessiert waren, habe ich daraus geschlossen, daß sie manche Blüten zwar anflogen, aber nicht landeten, weil sie erkannten, daß der Pollen bereits abgeerntet war oder sich die Blüte in der weiblichen Phase befand.
Ein mit Pollen reich bestäubtes Weibchen von Lasioglossum nitidulum unmittelbar nach dem Verlassen der Kronröhre. Die Haarstrukturen an den Hinterbeinen sind bereits voll mit weißem Lobelia-Pollen.
Nach dem Besuch einiger Blüten verharrten die Bienen länger auf den Blütenblättern, um den Pollen vom Körper abzubürsten und in die Pollentransporteinrichtungen an den Hinterbeinen umzulagern. Das Pollensammeln besteht also aus zwei verschiedenen Phasen: Die Pollenernte erfolgt bei Lobelia erinus sozusagen passiv mit Hilfe des gesamten Oberkörpers; nach erfolgtem Umlagern durch die Mittelbeine in die entsprechenden Transporteinrichtungen wird die Pollenladung zum Nest geflogen (Pollentransport). Wenn sich die Bienen putzen, wird mitunter auch ein Teil des Pollens verworfen und nicht als Larvenproviant verwertet. Bisweilen konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß der sich in solcher Menge auf dem Körper befindende Pollen die Bienen irritiert.
Manchmal sind die Bienchen über und über mit dem weißen Lobelia-Pollen bestäubt. Hier hat gerade ein Weibchen von Halictus tumulorum die Kronröhre verlassen. Auch seine Transporteinrichtungen sind bereits mit Lobelia-Pollen gefüllt. Eine mikroskopische Pollenanalyse hat diese Aussage bestätigt.
Außer Lasioglossum nitidulum und Halictus tumulorum konnte ich auch Lasioglossum morio und Lasioglossum pauxillum beim Besuch der Blüten beobachten. Honigbienen (Apis mellifera) schienen vor allem am Nektar interessiert gewesen zu sein.
Nicht beobachten konnte ich das gezielte Ernten des Pollens mit den Mandibeln am Eingang der Kronröhre, was durchaus zu erwarten wäre und wie ich es heute im Botanischen Garten bei Lasioglossum pauxillum beobachten und dokumentieren konnte (nächstes Bild). Schließlich wären die Pollenkörner auch bei Lobelia erinus mit den Mandibeln leicht zu sammeln. Die Bienen krochen aber hinein, weil Sie am Nektar interessiert waren. Mir ist nicht klar geworden, ob der auf dem Körper abgelagerte Pollen verwertet wird, weil er nun mal da ist, oder ob die Bienen »wissen«, daß sie beim Hineinkriechen in die Blüte gleichzeitig Nektar trinken und den Pollen ernten können.
Gezieltes Ernten des gelben Pollens des Kugellauchs (Allium spaerocephalon) mit den Mandibeln durch eine Arbeiterin von Lasioglossum pauxillum
Vereinzelt kamen auch Männchen angeflogen, um den Nektar am Grunde der Kronröhre zu trinken. Hier hat gerade ein Männchen von Lasioglossum nitidulum die Kronröhre verlassen. Es ist ebenfalls mit Pollen bestäubt.
Mehrere Arten von Schwebfliegen (Syrphidae, hier: Dasysyrphus albostriatus) besuchten die Blüten, um Pollen zu fressen.
Inwieweit die hier genannten Bienenarten auch eine Funktion als Bestäuber von Lobelia erinus haben, bedarf erst eingehender Untersuchungen. Dies zu untersuchen oder gar nachzuweisen, war nicht Ziel meiner heutigen Beobachtungen. Aber es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Bienenarten immer dann bestäuben, wenn sie nach dem Besuch einer Blüte in der männlichen Phase, bei dem ihr Rücken mit Pollen beladen wurde, eine Blüte im weiblichen Stadium besuchen, um Nektar zu saugen. Dann nämlich kommen die Narbenlappen durch die Enge der Kronröhre unweigerlich mit dem Rücken der Biene in Kontakt und der Pollen kann übertragen werden.
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