Eigentlich würde ich an dieser Stelle lieber interessante Beobachtungen der jüngsten Zeit schildern. Stattdessen sehe ich mich gedrängt, über ein Naturgeschehen zu berichten, das sich gestern an meinem Wohnort ereignet hat und das die katastrophalen Auswirkungen eines Sommergewitters am Ende einer Hitzewelle auf Wildbienen aufzeigt.
Am Nachmittag des 28. Juli 2013 ging in der Region Tübingen-Reutlingen ein Hagelsturm nieder, der an Häusern (Rolläden, Ziegel, Dachfenster, Verputz), an Autos und in der Landwirtschaft große Schäden angerichtet hat. Aber auch die Nahrungspflanzen von Wildbienen wurden in den Gärten und in der freien Landschaft nahezu flächendeckend vernichtet. Besonders betroffen hiervon sind oligolektische Arten, die nicht auf die noch verbliebenen Restbestände an blühenden Pflanzen (z.B. Wilde Möhre, Daucus carota, an Straßenrändern) ausweichen können. Einige Fotos, die ich gestern und heute aufgenommen habe, mögen dies verdeutlichen.
Unsere Terrasse kurz vor dem Ende des Sturms. Alle Container-Pflanzen wurden von den Hagelkörnern zerschlagen. Selbst die Pflanztöpfe aus Kunststoff oder Terracotta wurden stark beschädigt. (Wankheim, 28. Juli 2013, 17:08 h).
Wie Geschosse fielen die Hagelkörner, die teils größer als Golfbälle waren, vom Himmel. Sie sammelten sich aufgrund der orkanartigen Böen teilweise am Rande der Terrasse oder - wie hier - auf der Westseite meines Wildbienenhauses, das glücklicherweise unversehrt blieb. Allerdings wurden einige Brombeerstengel, die ich für Bewohner markhaltiger Stengel daneben angebracht hatte und die besiedelt waren, wie die unten zu sehenden Pflanzen umgeknickt. (Wankheim, 28. Juli 2013, 17:40 h).
Der Stengel eines Küchenlauchs in voller Blüte wurde von einem der besonders großen Hagelkörner geknickt. Betroffen von dem Verlust der Nahrungsgrundlage ist neben anderen Maskenbienen vor allem die Lauch-Maskenbiene (Hylaeus punctulatissimus).
Die Flugzeit der Natterkopf-Mauerbiene (Osmia adunca) neigt sich wie die Blütezeit des Gewöhnlichen Natterkopfs (Echium vulgare), ihrer Pollenquelle, dem Ende zu. Daher haben die Weibchen einen Großteil ihrer Brutzellen verproviantiert, so wie das rechts zu sehende Weibchen, das gerade sein Nest in einem Schilfröhrchen verschließt. Das Foto habe ich kurz vor dem Hagelsturm an meinem Wildbienenhaus aufgenommen. Auch mein Bestand des Wegerichblättrigen Natterkopfs (Echium plantagineum), der dann noch von dieser Mauerbienenart genutzt werden kann, wenn der Gewöhnliche Natterkopf verblüht ist, wurden restlos vernichtet. Damit haben die Weibchen keine Möglichkeit mehr, weitere Brutzellen mit Pollen zu versorgen, es sei denn, in irgendeinem Garten der Umgebung haben Exemplare dieser einjährigen Zierpflanze den Sturm überlebt.
Der Rainfarn (Tanacetum vulgare) ist die Hauptpollenquelle der Buckel-Seidenbiene (Colletes daviesanus), von der auf dem rechten Bild eines versuchte Paarung auf dem Rainfarn zu sehen ist. Fast alle Triebe meines Rainfarns wurden durch den Sturm geknickt. Ob die Weibchen die verbliebenen Blütenköpfe des Einjährigen Feinstrahls (Erigeron annuus), die an einer geschützten Stellen auf der Ostseite des Hauses unbeschädigt blieben, oder einen Bestand der Geruchlosen Kamille (Tripleurospermum inodorum) auf der Ostseite eines Gebäudes im etwa 1 km entfernten Gewerbegebiet nutzen, wird sich zeigen. Ich befürchte jedenfalls einen starken Einbruch in der Individuenzahl meines Seidenbienenbestandes.
Glockenblumen wie die (geknickte) Nesselblättrige Glockenblume (Campanula trachelium) sind die ausschließlichen Pollenquellen der Glockenblumen-Scherenbiene (Chelostoma rapunculi), die wie Osmia adunca bereits einige Nester gebaut hat. Da es auf der Gemarkung außerhalb der Ortschaft wegen der intensiven Landwirtschaft (Biogasanlage, Schweinemast) keine Glockenblumen gibt, ist diese Wildbienenart ganz auf Glockenblumen in den Gärten angewiesen.
Auch beim Muskateller-Salbei wurden sämtliche Triebe umgeknickt. Allerdings war er bereits weitgehend verblüht. Zwar werde ich wohl weniger Samen von dieser Pflanze ernten können, aber die Blauschwarze Holzbiene (Xylocopa violacea), die hier regelmäßig beim Blütenbesuch zu beobachten war, ist davon nicht beeinträchtigt. Allerdings werden ihr die vielen Blüten der besonders attraktiven Breitblättrigen Platterbse (Lathyrus latifolius) fehlen, die ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Sobald der Hochsommer zurückkehrt, werde ich versuchen festzustellen, wie die derzeit fliegenden Wildbienenarten mit dem Verlust an Nahrungspflanzen zurechtkommen. Besondere Beachtung werden hierbei die Arten erhalten, die derzeit in meinem Wildbienenhaus in den Nisthilfen ihre Nester bauen. Ich werde aber auch mir derzeit bekannte Nistplätze aufsuchen. Ob die von mir im Neckartal zur Beobachtung und Förderung angebrachten Brombeerstengel für die Dreizahn-Mauerbiene (Osmia tridentata) noch stehen, wird die baldige Kontrolle ergeben.
Seit dem Hagelsturm ist es an meinem Wildbienenhaus vergleichsweise still. Der größte Teil der vorher zahlreichen Weibchen (mehr als 40) von Osmia adunca (Glänzende Natterkopf-Mauerbiene) fehlt. Ich vermute, daß die Weibchen noch auf einem Sammelflug waren, als der Sturm losbrach und daß sie umgekommen sind. Mehr als 4 Weibchen konnte ich nicht mehr beobachten. Auch mehrere Weibchen von Chelostoma rapunculi (Glockenblumen-Scherenbiene) sind nicht mehr da. Lediglich ein Weibchen habe ich gestern mit weißem Pollen in ein Schilfröhrchen schlüpfen sehen. Der weiße Pollen stammt wohl von einer Campanula, von der am Rande meines Gartens ein Exemplar der Art trachelium (Nesselblättrige Glockenblume) überlebt hat. Aber möglicherweise gibt es in den Gärten der Umgebung auch noch Reste. Bei Heriades truncorum (Gewöhnliche Löcherbiene) kann ich keinen Verlust feststellen. Die Weibchen hatten sich offenbar rechtzeitig in ihren Nester verkrochen. Mehrere sah ich heute beim Pollensammeln auf Anthemis tinctoria (Färber-Kamille). Um meinen relativ großen Bestand von Colletes daviesanus (Buckel-Seidenbiene) in der Pollenversorgung zu unterstützen, habe ich außerhalb der Hagelregion von einem als Blühfläche ausgesäten Bereich mit Erlaubnis des Eigentümers einige Exemplare der Färber-Kamille ausgegraben und in meinem Garten in Pflanzgefäße gesetzt. Männchen und Weibchen der Seidenbiene haben sich unverzüglich auf die Blütenköpfchen »gestürzt«. Die Weibchen haben sofort mit dem Pollensammeln begonnen.
Besonders gefreut hat mich, daß ein Weibchen von Megachile rotundata (Luzerne-Blattschneiderbiene), das ich noch am Vortag des Hagelsturm beim Eintragen von Blattmaterial gefilmt hatte, in seinem Nesteingang saß. Endlich sah ich heute auch das Weibchen der prächtigen Goldwespe Chrysis fasciata an meinem abgestorbenen Baumstamm. Von den beiden Weibchen der Wirtsart Discoelius dufourii, einer sehr seltenen solitären Faltenwespe, konnte ich bisher nur eines an seinem Nest finden. Ich hoffe, daß das zweite auch noch auftauchen wird. Beide Arten hatte ich noch am Tag des Sturm gefilmt, möchte aber vor allem von dem Eintragen der Beutetiere ergänzende Aufnahmen machen.
In der verhagelten Region blüht jetzt fast nichts mehr. Es fällt auf, daß vor allem Daucus carota (Wilde Möhre) auf vielen Straßenrändern noch blüht, während z.B. Melilotus albus (Weißer Steinklee) alle Blüten und Blätter verloren hat. Der Hagel hat die wenigen von einer Mahd verschonten Ruderalflächen hart getroffen. Dort wurden auch die Disteln, die jetzt für Hummeln, Halictus scabiosae (Gelbbindige Furchenbiene) und viele Tagfalter wichtig sind, stark in Mitleidenschaft gezogen. Da die Landschaft ohnehin kaum mehr ein Blütenangebot aufweist, vor allem auch durch die vielerorts unnötige Mahd aus falsch verstandener Ordnungsliebe auf Böschungen und an Rainen, herrscht jetzt ein gravierender Nahrungsmangel. Getroffen hat es auch einen Bestand von Macropis europaea (Auen-Schenkelbiene), da die Hochstaudenvegetation entlang der Gräben, an denen ich die Art in den vergangenen Jahren beobachtet habe, von den Hagelkörner regelrecht zerfetzt wurde und dadurch fast keine Blüten von Lysimachia vulgaris (Gewöhnlicher Gilbweiderich) mehr zur Verfügung stehen.
Der Versuch, das durch den Hagelsturm vernichtete Nahrungsangebot der Buckel-Seidenbiene (Colletes daviesanus) durch das Anbieten der Färber-Kamille (Anthemis tinctoria) auszugleichen, hat sich bislang als erfolgreich erwiesen.
So wie im Bild habe ich gut bewurzelte Exemplare der Färber-Kamille in mehrere kleinere und größere Pflanzgefäße gepflanzt. Sie werden nicht nur von der Buckel-Seidenbiene intensiv genutzt, sondern auch von der Gewöhnlichen Löcherbiene (Osmia truncorum), mehreren Schmalbienen-Arten (Lasioglossum) sowie von Grabwespen, Faltenwespen und Fliegen.
Das folgende kurze Video (1 min 13 sec., 90 MB) zeigt Männchen und Weibchen der Buckel-Seidenbiene (Colletes daviesanus) am 31. Juli 2013 auf meiner Terrasse beim Blütenbesuch auf der Färberkamille.
Zunächst erscheint ein Männchen auf dem rechten Blütenstand und krabbelt dann auf den linken, um dort ausgiebig Nektar zu trinken. Dann erscheint ein Weibchen auf dem rechten Köpfchen und putzt seinen Hinterleib mit den Hinterbeinen. Das Männchen fliegt nach rechts weg und das Weibchen setzt das Pollensammeln auf dem linken Köpfchen fort. Von 0:27 bis 0:47 sieht man gut das leicht gewölbte Mesonotum (»Buckel«) mit der glänzenden Stelle. In seinen Transporteinrichtungen der Hinterbeine (Tibia, Femur) hat das Weibchen bereits gelben Pollen gespeichert. Ab 0:55 erscheint auf dem rechten Blütenstand noch ein Männchen der Gewöhnlichen Löcherbiene (Heriades truncorum).
Copyright © 2005-2023 Paul Westrich
Website designed by Paul Westrich