Osmia adunca - Männchen.
Nach dem Schlüpfen sind die Männchen noch deutlich rostrot behaart. Die Haarfarbe verblaßt jedoch durch die Wirkung des Sonnenlichts innerhalb weniger Tage und wird hellgrau.
Männchen: 8–13 mm. Frisch dicht und intensiv rostrot
behaart. Fühler deutlich breitgedrückt, Unterseite
der Glieder 5 bis 11 lebhaft rötlichgelb. Tergit 6 am Endrand seitlich
mit Zahn, Tergit 7 breit, fast rechteckig. Ähnlich sind Osmia lepeletieri, Osmia
anthocopoides, Osmia ravouxi und Osmia loti.
Weibchen: 8–13 mm. Viel kürzer behaart als die Männchen,
der Thorax hellbraun. Bauchbürste weiß.
Tergite mit schmalen Endbinden, kurz behaart, schwarz und
glänzend mir großen Punktzwischenräumen. Tibiensporne schwarz.
Das Männchen (oben) hat ein Weibchen gepackt, um sich mit ihm zu paaren.
Süd- und Mitteleuropa. In Deutschland im Süden mit höherer Verbreitungsdichte, im Norden nur vereinzelt. Auch in Österreich und in der Schweiz verbreitet. In Südwestdeutschland Schwerpunkt in Lagen unter 500 m. Im Wutachgebiet, im Hegau und im Oberen Donautal auch in höheren Lagen bis ca. 800 m. In den Alpen bis 2100 m.
Das Vorkommen der Art wird von ausreichend großen Echium-Beständen (Nahrungsraum) bestimmt, die mit günstigen Nistplätzen (Felswände, Steinmauern, Wände alter Fachwerkgebäude, Löß- und Lehmwände, Totholzstrukturen in Form abgestorbener Bäume oder alter Holzpfosten) vernetzt sind. Daher trifft man die Art am ehesten auf Felsfluren und Abwitterungshalden, in aufgelassenen Kiesgruben und Steinbrüchen, in reich strukturierten Weinbergbrachen, in Bahn- und Hafenanlagen, auf steinigen Böschungen, an trockenwarmen Ruderalstellen und stellenweise auch im Siedlungsbereich (Ruderalstellen, Naturgärten, Botanische Gärten). Nistplätze und Nahrungsräume sind stets räumlich getrennt (Teilsiedler).
Pionier-Pflanzengemeinschaften wie hier eine Natterkopf-Gesellschaft auf alten Gleisanlagen eines Bahnbetriebswerks (Tübingen) sind typische (Teil-)Lebensräume von Osmia adunca.
Ein Bestand des Natterkopfs am Rande eines Schotterwegs auf der Schwäbischen Alb.
Bestand des Natterkopfs in einer aufgelassenen Kiesgrube im Donautal südlich von Riedlingen. Besonnte, noch nicht mit Gehölzen zugewachsene Abbaustellen sind besonders wertvolle Lebensräume von Wildbienen.
Auch Straßenränder können geeignete Wuchsorte des Natterkopfs sein (Oberrheinebene).
Nistet in vorhandenen Hohlräumen, z.B. in Fraßgängen in altem Holz, in hohlen Pflanzenstengeln, in verlassenen Nestern von Seidenbienen (Colletes), Mörtelbienen (Megachile parietina), Pelzbienen (Anthophora) und Lehmwespen (Odynerus), in alten Kokons der Mauerbiene Osmia mustelina sowie in Löchern von Lehmwänden oder Felswänden. Besiedelt ausgesprochen gern Nisthilfen (Bambusrohr, Schilfhalme, Bohrungen in Holz mit einem Durchmesser von 5 bis 7 mm, bevorzugt 6 mm; 1–7 Brutzellen je Nest). Als Baumaterial dient ein Mörtel aus lehmigem Sand oder sandigem Lehm und kleinen Steinchen, der nach dem Trocknen (durch Speichel als Bindemittel?) sehr hart wird. Der Nestverschluß wird zusätzlich mit unterschiedlichen Materialien (z.B. Partikel von angewittertem Holz) versehen.
Ein Weibchen ist mit graublauem Echium-Pollen in der Bauchbürste zum Nest in einer hölzernen Nisthilfe zurückgekehrt.
Ein Weibchen sammelt mit ihren Oberkiefern vom Boden Baumaterial für Zellzwischenwand und Nestverschluß.
Weibchen beim Fertigen des Nestverschlusses an einer Holznisthilfe.
Fertiger Nestverschluß aus mineralischem Mörtel, auf den zusätzlich abgenagte Partikel des verwitterten Holzes aufgebracht wurden, was typisch für diese Art ist.
Die starke Vergrößerung des Nestverschlusses im Querschnitt macht deutlich, daß auf die Mörtelschicht (hell) eine zusätzliche, aus verschiedenen Materialien der unmittelbaren Umgebung bestehende Schicht (dunkel) aufgetragen wird.
Regelmäßig besiedelt Osmia adunca alte arteigene Nester. Hier verläßt ein Weibchen gerade ein solches vorjähriges und von ihm erneut genutztes Nest in einer Nisthilfe. Der Rest des alten Nestverschlusses wird nicht entfernt.
In einem Bambusröhrchen angelegtes Nest mit 6 Brutzellen. In der zuerst gebauten Zelle (ganz links) hat eine Larve bereits den Nahrungsvorrat vollständig aufgefressen.
Blick in ein geöffnetes Bambusröhrchen mit einer Brutzelle. Auf dem Larvenproviant klebt das glänzende Ei. Der frisch gesammelte Pollen von Echium ist graublau, wird aber in der Zelle durch Zugabe von Nektar (und Drüsensekreten?) auberginefarben.
Gegenüber dem obigen ist dieses Foto eines Nestes vergrößert. Vier Brutzellen sind zu sehen, in denen jeweils ein leicht durchscheinender Kokon liegt, der sich somit stark von den undurchsichtigen, braunen Kokons von Osmia bicornis und Osmia cornuta unterscheidet.
Puppe, deren Komplexaugen sich bereits dunkel färben. Der von mir mit großer Sorgfalt geöffnete Kokon besteht aus einer ziemlich dünnen, weißgrauen Wand, die rechts und links der Puppe noch zu erkennen ist.
Streng oligolektische, auf Echium (Boraginaceae) spezialisierte Art. Hauptpollenquelle ist nahezu im gesamten mitteleuropäischen Verbreitungsgebiet der Gewöhnliche Natterkopf (Echium vulgare) als meist einziger Vertreter der Gattung Echium. Von den seltenen und unbeständig eingeschleppten Arten Echium plantagineum und Echium italicum ist die erste, meist später als Echium vulgare aufblühende Art als Pollenquelle vielfach belegt und wird eifrig besucht, ganz im Gegensatz zur zweiten, kleinblütigeren Art (Westrich 1990). – Echium vulgare dient gleichzeitig als bevorzugte Nektarquelle für beide Geschlechter. Die Männchen patrouillieren ständig die Blütenstände der Pollenquellen der Weibchen, wobei es regelmäßig zu »Rangeleien« in einer Art Schwebflug auf »Augenhöhe« mit anderen Männchen kommt. Während der Patrouillien setzen sich die Männchen oft auf Steine, dürres Holz oder kahle Bodenstellen als Rastplätze. Natterkopf-Blüten sind auch die häufigsten Nektarquellen der Männchen. Wenn diese noch nicht blühen, nutzen frisch geschlüpfte Männchen andere Pflanzen zur Eigenversorgung mit Nektar. Aber auch während der Natterkopf-Blüte nutzen beide Geschlechter regelmäßig auch Lippenblütler wie die Garten-Katzenminze (Nepeta x fassenii) als Nektarquelle. Der hell bläulich-graue Pollen von Echium vulgare wird von den Weibchen trocken in der Bauchbürste transportiert. Durch Zugabe von Nektar erhält der mäßig feuchte Larvenproviant in der Brutzelle eine dunkelviolette Farbe.
[Von Hilger & Böhle (2000) wurde Echium maculatum (= Echium russicum und Echium rubrum) als neue Gattung Pontechium von Echium abgetrennt und mit der von anderen Natterkopfarten abweichenden zweiköpfigen statt zweispaltigen Narbe und abweichenden Sequenzen der Kern- und Plastiden-DNA begründet. Offensichtlich liefert diese Natterkopf-Art wie andere Echium-Arten ein spezielles Duftbouquet und hochspezifische Duftstoffe, die sie von anderen Boraginaceae wie z. B. Anchusa officinalis unterscheidet und an denen Osmia adunca sie erkennt (Burger et al. 2010). In der Florenliste von Deutschland (Hand et al. 2023) wird Pontechium maculatum zu Echium gestellt.]
Die Zweizahnbiene Dioxys tridentata soll laut älterer Literaturangaben in Frage kommen, wurde von mir jedoch noch nie an den Nestern beobachtet. Falsch sind Angaben, nach denen Stelis punctulatissima bei Osmia adunca schmarotzen soll (ihre Wirte sind Anthidium-Arten).
Ein weiterer Gegenspieler ist die Keulenwespe Sapyga quinquepunctata.
Eine Generation im Jahr (univoltin). Univoltin. Flugzeit von (Ende Mai) Mitte Juni bis Ende Juli, in manchen Jahren und unter günstigen Nahrungsbedingungen (spätblühende Natterkopf-Pflanzen) auch noch bis September (Männchen 30.5. bis 16.8.; Weibchen 5.6. bis 12.9.). Erscheint etwas später als Osmia anthocopoides und fliegt etwas länger. Die Männchen fliegen oft schon, bevor der Natterkopf zu blühen begonnen hat. Überwinterung als Ruhelarve in einem seidigen, weißlichen Kokon. Ein kleiner Teil der Ruhelarven überliegt.
Die Art ist noch regelmäßig dort anzutreffen, wo größere Bestände des Gewöhnlichen Natterkopfs blühen und gleichzeitig geeignete Nistplätze vorhanden sind. Sie tritt dann bisweilen auch in größerer Zahl auf. Da sie im Gegensatz zu Osmia anthocopoides vorgefundene Hohlräume verschiedenster Art zur Nestanlage nutzt, ist sie in erster Linie dort bedroht, wo Bestände oder Wuchsplätze ihrer Nahrungspflanze vernichtet werden (Mahd, Herbizidbehandlung, Beseitigung, Aufforstung oder künstliche Begrünung von »Ödland«). Da aber die früher weit verbreiteten Natterkopf-Fluren vielerorts verschwunden sind (z.B. im Umfeld von Bahnhöfen) hat sie in den vergangenen drei Jahrzehnten ebenfalls einen Rückgang erlitten. Die Duldung und Förderung der Pioniervegetation trockenwarmer Standorte ist demnach für die Erhaltung unverzichtbar. Nisthilfen werden rasch angenommen und können lokal zu individuenreichen Populationen führen, vorausgesetzt, es wird gleichzeitig für Pollenquellen gesorgt.
Im zweiten Wuchsjahr: Blühender Gewöhnlicher Natterkopf (Echium vulgare) im Pflanzcontainer auf der Terrasse.
Ein prächtiges Exemplar des Gewöhnlichen Natterkopfs am Rande der Terrasse vor meiner kleinen Lößwand.
Mehrfach schon wurde ich gefragt, warum ich für die Gattung Echium den deutschen Namen Natterkopf und nicht Natternkopf (mit »n«) verwende. Man findet beide Varianten mit dem Element »Natter« vor einer sogenannten Wortbildungsfuge. Bei Natternbrut, Natternbiß, Natternzüchter und wahrscheinlich auch bei Natternkopf scheinen die Formen mit dem sogenannten Fugen-n zu überwiegen. Es gibt aber auch Ringelnatternzüchter und Ringelnatterzüchter bzw. Ringelnatternbiß und Ringelnatterbiß. Ich habe mich für die Variante ohne Fugen-n entschieden, da die Blüte der Echium-Arten dem Kopf einer Schlange ähnelt. In dem von mir sehr geschätzten und oft benutzten Grundlagenwerk von Sebald, Seybold, Philippi & Wörz »Die Farn- und Blütenpflanzen Baden-Württembergs« Band 5, S. 88 verwenden die Autoren den Namen Gemeiner Natterkopf für die Art Echium vulgare. Auch die Flora des Kantons Bern von Lauber & Wagner (S. 520) und die Pflanzensoziologische Exkursionflora von Oberdorfer (S. 783) verwenden den Pflanzennamen ohne »n«. Es gibt aber auch Floren (Rothmaler, Schmeil-Fitschen), in denen wir vom Natternkopf lesen. Weder die eine noch die andere Variante ist falsch, weswegen beide synonym benutzt werden können.
Burger, H., Ayasse, M., Häberlein, C., Schulz,
S. & Dötterl, S. (2010): Echium and Pontechium specific cues for host-plant recognition in the oligolectic bee Hoplitis adunca. – South African J. Botany 76: 788–795.
Hand, R., Thieme, M. & Mitarbeiter (2023): Florenliste von Deutschland (Gefäßpflanzen), begründet von Karl Peter Buttler, Version 13 - https://www.kp-buttler.de.
Hilger, H.H. & Böhle, U.-R. (2000): Pontechium: a new genus distinct from Echium and Lobostemon (Boraginaceae). – Taxon 49, 737–746.
Westrich, P. (1990): Die Wildbienen Baden-Württembergs. 2 Bände, 972 S., 496 Farbfotos, 2., verbessere Auflage (Stuttgart (E. Ulmer).