Nach einem recht wechselhaften Spätsommer und Frühherbst, der für die Brutversorgung der Efeu-Seidenbiene nicht allzu günstig war, hat es In der jüngsten Zeit erneut mehrfach geregnet, jedoch gab es auch Tage mit Sonnenschein und trockeneren Witterungsverhältnissen. Zuletzt hatte ich am 19. Oktober einen Nistplatz von Colletes hederae in Tübingen besichtigt, den zweiten übrigens im Stadtgebiet, und noch Aktivitäten an den Nestern beobachtet. Ein aufmerksamer Tübinger Bürger hatte mir am Telefon von Wildbienen in seinem Garten berichtet, die er dort erstmals 2012 gesichtet hätte. Am 28. September zählte ich insgesamt 100 Nester, die sich größtenteils an unbewachsenen Stellen fanden, teilweise aber auch unter dem Blätterdach von Pflanzen angelegt waren. Der Nistplatz selbst war gut besonnt und die Weibchen trugen eifrig Pollen ein.
Heute war es aufgrund einer Föhnwetterlage mit bis zu 23 °C erneut vergleichsweise warm. Lediglich eine dünne Wolkendecke sorgte phasenweise für weniger Sonnenschein. [Entscheidend für die Bruttätigkeit ist aber weniger die Temperatur, als trockenes Wetter und es kann auch bewölkt sein; im September 2012 habe ich die Weibchen in der Westpfalz (Landstuhl) in den Morgenstunden bereits bei 11 °C Lufttemperatur beim Eintragen des Pollens beobachtet.] Als ich um die Mittagszeit von einer Besorgung in das Parkhaus in der Altstadt von Tübingen zurückkehrte, achtete ich auf der Treppe beim Hinaufsteigen auf den an der Wand noch teilwese blühenden Efeu. Außer einigen Schwebfliegen und Honigbienen entdeckte ich dabei auch zwei Weibchen der Efeu-Seidenbiene, die Pollen sammelten. Ich hatte zwar schon 2010 am Tübinger Schloß die ersten Exemplare gesehen, bislang jedoch nicht mitten in der Altstadt. Wo letztere nisten, konnte ich nicht herausfinden. Möglicherweise sind sie im Alten Botanischen Garten (heute ein Park) zu suchen, der in unmittelbarer Nähe des Parkhauses liegt.
Westseite des in der Tübinger Altstadt gelegenen Parkhauses mit großem Efeu-Bestand. Von der Treppe aus konnte ich die Blütenbesucher gut beobachten.
Ich holte unverzüglich meine Kamera und machte zunächst am Parkhaus und anschließend an dem oben beschriebenen Nistplatz die folgenden Photos. An dem Nistplatz waren in einer halben Stunde 10 Weibchen zu sehen, die vollbeladen mit Pollen zu ihrem Nest heimkehrten. Einige der beim letzten Besuch noch offenen Nester waren aber verschlossen geblieben. Die Lebensuhr der betreffenden Weibchen war wohl schon abgelaufen.
Weibchen von Colletes hederae bei der Pollenernte auf dem Blütenstand des Efeus (Hedera helix) (Tübingen, 22. Oktober 2013)
Die Pollentransporteinrichtungen dieses Weibchens sind schon gut mit Pollen gefüllt. Im Vergleich zu frischen Weibchen ist die Thorax-Behaarung dieses Exemplar bereits etwas ausgebleicht. Die Endbinden der Hinterleibssegmente sind teilweise abgerieben (Tübingen, 22. Oktober 2013).
Da der kräftige Regen den Nesteingang zugeschwemmt hat, mußte ihn dieses Weibchen wieder aufgraben (Tübingen, 22. Oktober 2013).
Ein Weibchen ist gerade von seinem Sammelflug zurückgekehrt und wird den hellgelben Efeu-Pollen in der Brutzelle deponieren (Tübingen, 22. Oktober 2013).
Mittlerweile ist Colletes hederae in mehreren Ortschaften der Region bodenständig und nistet dort in Sandkästen von Kindergärten, auf Friedhöfen und in Gärten. Mössingen war ja schon seit 2006 bekannt. Hinzu kamen Gomaringen, Wankheim und Bad Niedernau. In Tübingen dürfte die Art mittlerweile weitverbreitet sein, zumal ich sie am 28. September auch im Stadtfriedhof an Efeu sah. Weitere Neufunde wurden mir aus Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mitgeteilt.
Unter Berücksichtigung der seit 2006 zu beobachtenden enormen Ausbreitung und Neubesiedlung zahlreicher Örtlichkeiten dürfte Colletes hederae in einigen Regionen Deutschlands in Lagen unterhalb 500 m üNN bereits zu den Arten mit der größten Zahl an unterscheidbaren Vorkommen (Auftreten an Efeu-Beständen bzw. räumlich getrennte Nestansammlungen) gehören. (Wie weit sich die Art nach Norden und Osten ausbreiten wird, bleibt abzuwarten.) Was die Individuenzahlen der Teilpopulationen betrifft, insbesondere die Zahl dicht beeinander nistender Weibchen in ein und derselben Nestansammlung, wird Colletes hederae derzeit in unseren Breiten von keiner anderen Bienenart übertroffen. Nach all dem, was ich in den vergangenen Jahren gesehen und von Dritten an Schilderungen erfahren habe, wage ich dies zu behaupten. Ich kenne bei uns keine Bienenart, die eine derart hohe Flexibilität zeigt hinsichtlich der Wahl ihrer Nistplätze (horizontal, schwach geneigt, vertikal), der Nistsubtrate (Sand, Lehm, Löß, humusfrei bis stark humos) und der Vegetationsstruktur am Nistplatz (vegetationsfrei bis dicht bewachsener Rasen). Was allerdings nie fehlen darf, das ist ein ausreichend großer blühender Efeu-Bestand.
Heute habe ich zwischen 13.30 h und 14.00 h an dem oben erwähnten Nistplatz nochmals 4 Weibchen beim Eintragen von Pollen beobachtet.
Copyright © 2005-2023 Paul Westrich
Website designed by Paul Westrich