Ein Bestand von Diplotaxis tenuifolia (Schmalblättriger Doppelsame) auf einer Lößböschung am Tuniberg, auf der Colletes hederae flog (30. September 2020).
Der Schmalblättrige Doppelsame, auch Wilde Rauke genannt, gehört zur Pflanzenfamilie der Kreuzblüter (Brassicaceae), von denen einige Arten zu den von Wildbienen häufig besuchten Pflanzen zählen. Unter dem Namen Rucola wird diese Pflanze gehandelt und als Salat und Gewürzkraut verwendet. Der ausdauernde krautige Kreuzblütler wird 20 bis 70 cm hoch. Sein traubiger Blütenstand enthält zahlreiche schwefelgelbe Blüten. Die Blüten weisen sechs Staubblätter mit 4 bis 8 mm langen Staubfäden und 2.5 bis 3 Millimeter lange Staubbeutel auf. Die Blüten verströmen einen intensiven Duft. Ob man sie als »wohlriechend« wie Knuth (1898) bezeichnen kann, sei dahingestellt. Es gibt vier Nektardrüsen, von denen nur die zwei kleineren, die innen am Grunde der beiden kürzeren Staubblätter stehen, Nektar absondern. Die kürzeren Staubblätter wenden die aufgesprungenen Seiten ihrer Antheren nach innen, die Antheren der längeren sind den kürzeren zugekehrt (Knuth 1898).
Der aus dem Mittelmeerraum stammende Kreuzblütler ist ein wärmeliebender Neophyt und tritt gebietsweise häufig in Unkrautgesellschaften, an Wegen, auf Schuttplätzen und in Brachen auf. Im Kaiserstuhl und am Tuniberg ist er besonders häufig.
Wenn ich zur Blütezeit von Diplotaxis tenuifolia im Kaiserstuhl oder am Tuniberg war, habe ich immer wieder die teils großen Bestände auch auf Blütenbesucher hin kontrolliert und darauf, ob dieser Kreuzblütler als Quelle von Nektar oder Pollen genutzt wird. Meine reichhaltigen Feldtagebücher enthalten aber nur wenige Notizen, die sich auf diesen Kreuzblütler beziehen. Schwebfliegen sind mir immer wieder als Pollenfresser aufgefallen. Wildbienen traf ich nur sehr vereinzelt und nur beim Nektartrinken an, so z.B. Ceratina cucurbitina, Lasioglossum marginatum und Halictus langobardicus (siehe Galerie). Regelmäßig sah ich seit Ende der 1990er Jahre Männchen von Colletes hederae, vor allem dann, wenn der Efeu noch nicht aufgeblüht, die protandrischen Männchen aber schon geschlüpft waren. Auch die Männchen der bei Colletes hederae als Brutparasit lebenden Filzbienenart Epeolus fallax wurden an Diplotaxis tenuifolia mehrfach beobachtet. Honigbienen hingegen traten bisweilen in großer Zahl auf, vor allem, wenn Diplotaxis tenuifolia größere Bestände bildete, wie es in klimatisch begünstigten Gebieten oft der Fall ist.
Uli Maier teilte mir am 25. September 2020 während seines Aufenthalts am Tuniberg mit, er habe Dutzende von Weibchen von Colletes hederae zwischen Opfingen und Merdingen bei der Pollenernte an Diplotaxis tenuifolia beobachtet. Er konnte den Blütenbesuch der Weibchen auch durch mir zugesandte Fotos belegen. Efeu als sonst bevorzugte Pollenquelle schien in der näheren Umgebung zu fehlen. Uli Maiers Beobachtungen und exakten Schilderungen ließen vermuten, daß Colletes hederae Diplotaxis tenuifolia tatsächlich als Pollenquelle nutzt. Was zunächst fehlte, war eine zweifelsfreie Bestätigung durch eine Pollenanalyse. Uli Maier fing daher an Rucola-Blüten drei Weibchen mit viel Pollen, die er mir anschließend zusandte. Meine Untersuchung ergab, daß die Transporteinrichtungen aller drei Weibchen zu 100% Pollen eines Vertreters der Brassicaceae enthielten. Dies in Zusammenhang mit den Beobachtungen des Blütenbesuchs bestätigte, daß Colletes hederae diesen Kreuzblütler als Pollenquelle zu nutzen vermag.
Dadurch motiviert habe ich mir am 30. September 2020 am Tuniberg selbst ein Bild von dem Blütenbesuchsverhalten von Colletes hederae gemacht. Unweit der Stelle, an der Uli Maier die Art beobachtet hatte, traf ich zwischen 10.00 h und 14.00 h mehrere Weibchen beim Pollensammeln an Diplotaxis tenuifolia an. Ihr Verhalten auf und in den Blüten ließ zweifelsfrei die Pollenernte erkennen. Es war möglich, die Weibchen über längere Zeit beim Flug von Blüte zu Blüte zu beobachten und auch dabei zu fotografieren (siehe nachfolgende Galerie). Ich konnte dies auch filmen und habe weiter unten ein entsprechendes Video eingefügt. Eine Analyse des einem Weibchen entnommenen Pollens ergab ausschließlich Pollen von Brassicaceae (der Pollen von Vertretern dieser Familie ist im Lichtmikroskop nicht bis zur Art zuzuordnen, eindeutig aber bis auf Familienebene). Um zusätzliches Datenmaterial zu erhalten, suchte ich weitere Lokalitäten mit Beständen von Diplotaxis tenuifolia am Tuniberg und im Kaiserstuhl auf, jedoch blieb die Suche nach Seidenbienen ohne Erfolg. Nur auf einer Lößböschung (siehe obiges Foto) flogen zwei Weibchen von Colletes hederae an dieser Pflanze. Ich entnahm eines davon, das reichlich Pollen trug, für eine lichtmikroskopische Pollenanalyse. In etwa 5 Meter Entfernung stand ein Efeu-Strauch, der eifrig von Colletes hederae in beiden Geschlechtern und von Honigbienen besucht wurde. Auch hier entnahm ich den Pollen eines pollentragenden Weibchens. Die spätere Pollenanalyse ergab folgendes: Die Pollenladungen beider Weibchen enthielten ausschließlich Pollen von Hedera helix, also Efeu. Bei dem auf dem Kreuzblütler gefangenen Weibchen konnte ich kein einziges Pollenkorn dieser Pflanzenfamilie finden. Dies zeigt wie in anderen, schon früher dokumentierten Fällen, daß man bei einem bereits Pollen tragenden, auf einer Blüte zu sehenden Weibchen nicht automatisch davon ausgehen darf, daß dieses Weibchen dort auch Pollen sammelt oder gesammelt hat. Erst eine sehr genaue Beobachtung des Verhaltens und erst recht eine Pollenanalyse können Auskunft über das tatsächliche Geschehen geben (siehe Westrich & Schmidt 1987).
Die folgende Bildergalerie zeigt verschiedene Blütenbesucher an Diplotaxis tenuifolia. Die Bilder sind auch großformatig anzuschauen (Klick auf das Quadrat in der rechten oberen Ecke).
Die überaus deutliche Bevorzugung von Efeu (Hedera helix) als Pollenquelle durch Colletes hederae dürfte unbestritten sein. Mir ist seit der mit Konrad Schmidt gemeinsam erstellten Erstbeschreibung keine einzige Lokalität mit bodenständigen Vorkommen von Colletes hederae bekannt geworden, an dem nicht ein ausreichend großer Bestand des Efeus als Pollenquelle zur Verfügung steht. Dies gilt für unzählige von mir besuchte Lokalitäten in Deutschland, Frankreich, Österreich, Italien, Spanien, England und in der Schweiz. Diese Tatsache war wie in der Erstbeschreibung der Art, wo Hedera helix als ausschließliche Pollenquelle bezeichnet wurde, der Grund dafür, diese nicht nur als »oligolektisch«, sondern sogar als »streng oligolektisch« zu bezeichnen. 2006 und 2007 ergaben erstmals zahlreiche Pollenanalysen, daß die Weibchen auch andere Pollenquellen als Hedera helix nutzten, allerdings vor dem Aufblühen des Efeus, während alle untersuchten Weibchen nach dessen Aufblühen ausschließlich Efeu-Pollen in die Brutzellen eintrugen (Westrich 2008). Weitere Beobachtungen des Pollensammelverhaltens durch verschiedene Autoren ergaben im Verlauf mehrerer Jahre zusätzliche Pollenquellen aus sechs Pflanzenfamilien. Ich trage diesem Umstand mittlerweile insofern Rechnung, als ich die Art derzeit als »eingeschränkt oligolektisch« bezeichne. Mit der Nutzung von Vertretern weiterer Pflanzenfamilien war zu rechnen.
Diese Vermutung hat sich jetzt mit dem Nachweis des Pollensammelns an einem Kreuzblütler bestätigt. Daß die Weibchen nicht ausschließlich an Hedera helix Pollen sammelnd nachgewiesen wurden, hat einerseits dazu geführt, für das Verhalten den neuen Begriff »pseudo-oligolektisch« zu schaffen (Teppner & Brosch 2015), andererseits die Art als »polylektisch« zu bezeichnen. Dies zeigt die Schwierigkeit, biologische Phänomene mit Begriffen zu belegen, die bestimmte Verhältnisse klar von einander abgrenzen. Zwar ist dies wünschenswert, aber nicht immer möglich, weil sich die Natur nicht oder nur bedingt in Schubladen unterbringen läßt. Eine klare Kategorisierung ist wie bei anderen Phänomenen auch beim Pollensammelverhalten von Bienen problematisch. Immer mehr Begriffe tragen nicht zum Verständnis bei und machen das Ganze nur intransparenter. Deshalb habe ich auch in meinem Werk (Westrich 2019) darauf verzichtet, Begriffe wie monolektisch, mesolektisch oder pseudo-oligolektisch zu übernehmen und auf bestimmte Bienenarten anzuwenden, weil ich der Meinung bin, daß sich das Pollensammelverhalten am besten durch eine genaue Beschreibung der Blütenbeziehungen beschreiben und abgrenzen läßt. Es ist so auch besser zu verstehen und in der Praxis anzuwenden. Die Einordnung von Colletes hederae als »polylektische Art« halte ich für nicht gerechtfertigt. Ich möchte sogar behaupten, daß eine umfassende Untersuchung ergeben würde, daß mehr als 99% des gesammelten Pollens von Hedera helix stammen. Bekanntermaßen zeigen polylektische Arten in der sonst üblichen Anwendung des Begriffs ein deutlich anderes Pollensammelverhalten als Colletes hederae. Leicht zu verstehen ist der Umstand, daß Weibchen von Colletes hederae dann andere Pollenquellen nutzen, wenn der Efeu noch nicht blüht, wie ich 2008 zeigen konnte. Es könnte auch dann der Fall sein, wenn der Efeu entweder verblüht ist oder, z. B. durch Entfernen eines Efeu-Bestands, nicht mehr verfügbar ist, wenn die Weibchen bereits mit der Verproviantierung von Brutzellen begonnen haben. Dieses als Ausnahme zu verstehende Ausweichen auf andere als die artspezifischen Pollenquellen wurde mehrfach beschrieben (siehe z.B. in Westrich 1989: 285). Zu untersuchen wäre auch, ob inner- bzw. zwischenartliche (intra- bzw. interspezifische) Konkurrenz um Pollen einen Wechsel von Efeu auf andere Pollenquellen der Umgebung auslöst. Mehrfach habe ich beobachtet, daß sich die hederae-Weibchen gegenseitig behindern, wenn sehr viele gleichzeitig auf den Efeu-Blütenständen auftreten, was bei den stetig gewachsenen Populationsdichten ja auch zu erwarten ist. Wie sieht es mit der Konkurrenz durch (zu viele) Honigbienen aus? Bis jetzt ist auch nicht geklärt, ob Fremdpollen von den Larven verwertbar ist, sich also gesunde Seidenbienen in den Brutzellen entwickeln. Immerhin gibt es Hinweise darauf, daß Pollen keine universell nutzbare Ressource für Bienen darstellt. Dies hat eine bemerkenswerte Studie von Praz et al. (2008) gezeigt. Pollen von Asteraceae (Korbblütler) ermöglichte nicht die Entwicklung der Larven von Chelostoma florisomne, Chelostoma rapunculi und Osmia adunca, und Pollen von Ranunculus (Hahnenfuß) war weder für Heriades truncorum noch für Chelostoma rapunculi geeignet. Darüber hinaus schlug die Entwicklung von Chelostoma rapunculi auf Pollen von Sinapis (Senf) (einem Kreuzblütler wie Diplotaxis tenuifolia!) und von Echium (Natterkopf) fehl (Sedivy et al. 2012) (siehe die Darstellung in Westrich 2019: 297).
Es ist speziell im Falle von Colletes hederae also notwendig, noch weiter zu forschen, um die Hintergründe für die Nutzung anderer Pollenquellen als Hedera helix und deren Auswirkung auf die Larvalentwicklung zu ermitteln. Vorschnell Zuordnungen vorzunehmen ist für das Verständnis dieser Art nicht hilfreich. Ich bitte um zusätzliche Beispiele und Befunde und hoffe auf eine angeregte Diskussion.
Das folgende kurze Video (40 sec, 152 MB) zeigt das Pollensammeln von Colletes hederae an Diplotaxis tenuifolia. Die Aufnahmen wurden am 30. September 2020 am Tuniberg gemacht. – Das Video kann auch im Vollbildmodus abgespielt werden. Ohne Ton!
Knuth, P. (1898): Handbuch der Blütenbiologie. II. Band, 1. Teil. 697 S.; Leipzig.
Praz, C. J., Müller, A. & Dorn, S. (2008): Specialized bees fail to develop on non-host
pollen: do plants chemically protect their
pollen ? – Ecology 89: 795–804.
Sedivy, C., Praz, C. J., Müller, A., Widmer, A. & Dorn, S. (2008): Patterns of host-plant
choice in bees of the genus Chelostoma:
the constraint hypothesis of host-range
evolution in bees. – Evolution 62: 2487–2507.
Teppner, H. & Brosch, U. (2015): Pseudo-oligolecty in Colletes hederae (Apidae-
Colletinae, Hymenoptera). – Linzer biol. Beitr. 47: 301–306.
Westrich, P. (1989): Die Wildbienen Baden-Württembergs. 2 Bände, 972 S., 496 Farbfotos; Stuttgart (E. Ulmer). [1990 2., verb. Auflage].
Westrich, P. (2008): Flexibles Pollensammelverhalten der ansonsten streng oligolektischen Seidenbiene Colletes hederae Schmidt & Westrich (Hymenoptera: Apidae). – Eucera 1: 17–29.
Westrich, P. (2019): Die Wildbienen Deutschlands. – 2., aktualisierte Auflage, 824 S., 1700 Farbfotos. Stuttgart (E. Ulmer).
Westrich, P. & K. Schmidt (1987): Pollenanalyse, ein Hilfsmittel beim Studium des Sammelverhaltens von Wildbienen (Hymenoptera, Apoidea). – Apidologie, 18: 199–214.
Uli Maier (Ravensburg-Oberzell) danke ich sehr herzlich für die Mitteilung seiner Beobachtungen und die Überlassung von Exemplaren für Pollenanalysen.
Unabhängig von unseren Befunden haben die beiden BUND-Wildbienenbotschafterinnen Ursula Gönner und Sieglinde Herbst in Westhofen (Rheinhessen) in diesem Jahr ebenfalls Weibchen bei der Pollenernte an Wilder Rauke beobachtet.
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