Heute habe ich wie oftmals zuvor den Botanischen Garten in Tübingen erneut aufgesucht, um meine Beobachtungen von Wildbienen beim Blütenbesuch fortzusetzen. Schon von weitem fiel mir der in diesem Jahr deutlich früher aufgeblühte Bestand des Strauchigen Brandkrauts auf. Phlomis fruticosa L. ist eine Pflanzenart aus der Familie der Lippenblütler (Lamiaceae). Sie stammt aus dem mittleren und östlichen Mittelmeerraum von Sardinien bis zum Kaukasus. Der wintergrüne, reich verzweigende, bis 130 cm hohe Strauch besiedelt Strauchheiden (Garrigue, Phrygana) oder Felshänge und wird in Mitteleuropa auch als Zierpflanze in Steingärten oder als Kübelpflanze kultiviert, so auch im Alpinum des Botanischen Gartens Tübingen. 14 bis 36 bis 3 cm große, leuchtend gelbe Blüten stehen in prächtigen Scheinquirlen, sogenannten Brakteolen.
Ein Bestand des Strauchigen Brandkrauts (Phlomis fruticosa) im Alpinum des Botanischen Gartens der Universität Tübingen (26. Mai 2020).
Als ich mich dem Bestand näherte, fielen mir sofort mehrere Exemplare der Blauschwarzen Holzbiene (Xylocopa violacea) auf, die mit tiefem Gebrumm von Blütenstand zu Blütenstand flogen, Pollen sammelten und mir erlaubten, ihr Blütenbesuchsverhalten zu filmen. Auch einige Hummeln der Art Bombus hortorum (Gartenhummel) besuchten eifrig die Blüten.
Beim Besuch durch eine Holzbiene (Xylocopa violacea) wird von der Phlomis-Blüte der Pollen auf dem Rücken abgeladen und von dort mit den Mittelbeinen abgebürstet und in die Schienenbürste der Hinterbeine umgelagert. Nur große Bienen sind kräftig genug, die Blüten zu öffnen und so auch den Bestäubungsmechanismus zu betätigen. Solche Verhältnisse finden wir auch beim Muskateller-Salbei (Salvia sclarea).
Obwohl meine Aufmerksamkeit zunächst vor allem den Holzbienen galt, fiel mir plötzlich eine Biene auf, die mit der Bauchseite nach oben an einer Blüte hing und deren Bauchbürste (Scopa) mit weißem Pollen gefüllt war. Nachdem sie zur nächsten Blüte geflogen war, erkannte ich Megachile willughbiella (Garten-Blattschneiderbiene), eine Art, die alljährlich im Botanischen Garten, aber auch in Gärten der Stadt Tübingen und in den Dörfern des Umlandes auftritt.
Das Weibchen von Megachile willughbiella hat soeben die Pollenernte an einer Blüte beendet und fliegt die nächste Blüte an.
Das Weibchen von Megachile willughbiella ist gerade gelandet und hat sich bereits für die Pollenernte um die eigene Achse gedreht.
Besonders auffällig war, daß das Weibchen die großen Blüten ganz normal anflog, sich beim Landen aber sofort drehte, um mit der Bauchseite nach oben mit der Pollenernte zu beginnen. Mit den Vorder- und Mittelbeinen klammerte es sich an die unter der Oberlippe verborgenen Filamente (Staubfäden) und entnahm mit den Hinterbeinen den weißen Pollen aus den Antheren (Staubbeuteln) und verbrachte ihn in die unmittelbar darunter befindliche Bauchbürste. Auf die Pollenernte folgte eine Entnahme des Nektars, wozu das Weibchen sich kurz zum Blütengrund bewegte, um dann zur nächsten Blüte zu fliegen. Dies ist im Video beim Besuch der letzten Blüte gut zu sehen. Der ganze Vorgang dauerte 7-9 Sekunden.
Megachile willughbiella zeigt hier ein Verhalten, das dem von Megachile ligniseca sehr ähnelt, wenn von Salvia glutinosa (Klebriger Salbei) Pollen gesammelt wird. Ich habe vor einigen Jahren in einem Tagebucheintrag darüber berichtet. Allerdings schlitzt Megachile willughbiella bei Phlomis bei der Nektaraufnahme keine Blütenteile auf.
Das folgende Video (47 sec, 180 MB) zeigt das Pollensammelverhalten von Megachile willughbiella an insgesamt fünf Blüten von Phlomis fruticosa. Der nach meiner Beobachtung im Vergleich zu früheren Jahren viel häufiger auftretende Wind, der das Filmen erschwert, wird auch in dem Video durch die schwankenden Blütenstände deutlich. Die Biene hat sich dadurch aber nicht irritieren lassen. – Das Video kann auch im Vollbildmodus abgespielt werden. Ohne Ton!
Während die Holzbienen bei Phlomis fruticosa zweifellos als Bestäuber fungieren, würde ich die Blattschneiderbiene hier als Pollendieb bezeichnen. Sie kann weder den spezifischen Bestäubungsmechanismus der Phlomis-Blüte betätigen, noch konnte ich beobachten, daß das Weibchen mit den Narben in Berührung kommt.
Ich habe gestern und heute am Bestand von Phlomis fruticosa noch einmal die Blütenbesucher kontrolliert und eine für mich neue Erkennnis gewonnen, was den Besuch durch Hummeln betrifft. Diese möchte ich natürlich auch den Lesern meines Tagebuchs mitteilen: Während die langrüsseligen Arbeiterinnen von Bombus hortorum (Gartenhummel) auf »normalem«, nämlich legitimen und aus Sicht der Blüte (Bestäubung!) gewünschten Weg die Blüten besuchen und dabei Nektar trinken und Pollen ernten, hängen sich die kurzrüsseligen Arbeiterinnen von Bombus terrestris agg. (Dunkle Erdhummel) ähnlich wie Megachile willughbiella an die Oberlippe und ernten den Pollen mit den Mandibeln, um ihn anschließend in die Corbicula der Hinterbeine zu verbringen. Auch hier haben die beiden Hummelarten unterschiedliche Rollen: Bombus hortorum ist ein legitimer Bestäuber, während Bombus terrestris als Pollendieb zu bezeichnen ist.
Das folgende Video (80 sec., 150 MB) zeigt das unterschiedliche Verhalten der beiden Hummelarten, zunächst von Bombus hortorum, dann von Bombus terrestris agg.
Megachile willughbiella: »normale« Körperhaltung bei der Pollenernte, hier an Kriechender Hauhechel (Ononis repens), einer Art aus der Familie der Schmetterlingsblütler (Fabaceae).
Empfehlung: Besuchen Sie doch einmal den Botanischen Garten der Universität Tübingen mit seiner großen Vielfalt an Pflanzen und Lebensräumen. Der Eintritt ist frei.
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Körbchen: Vorrichtung zur Aufnahme und zum Transport von Pollen bei Honigbiene und Hummeln