Am 25. März 2020 erhielt ich eine mit Fotos ergänzte Nachricht, die ich so bemerkenswert fand, daß ich sie meinen Lesern nicht vorenthalten möchte. Die Nachricht kam von Dr. Christoph Heibl aus der Abteilung Naturschutz und Forschung der Nationalparkverwaltung Bayerischer Wald. Seine Beobachtungen gebe ich nachfolgend wieder.
Eine vom Biber gefällte Hänge-Birke (Betula pendula). Bei genauerem Hinsehen, kann man die Wildbienen auf dem Stumpf erkennen. Foto: C. Heibl, 19. Febr. 2020.
Christoph Heibl schrieb mir: »Mitte März habe ich bei einer Geländebegehung im Reschbachtal (Hinterer Bayerischer Wald, ca. 800 m NN) Wildbienen beobachtet, die Xylemsaft einer vom Biber gefällten Hänge-Birke lecken. Außer Weiden hat zu dem Zeitpunkt hier noch nichts geblüht, es gab also fast keine Nektarquellen. Die Schneeschmelze war erst wenige Tage her, die Wanderung der Grasfrösche in vollem Gange und Kreuzotter, Ringelnatter und Waldeidechse hatten gerade ihre Frühjahrssonnenplätze bezogen.« Bei dem Fundort handelt es sich um ein nördlich von Freyung gelegenes Tal, in dem der Reschbach von einem Birkengaleriewald begleitet und von teils brachliegenden Feuchtwiesen, Fichtenaufforstungen und Grauerlen-Auwäldchen umgeben ist.
Die der Nachricht beigefügten elf Fotos, von denen hier fünf präsentiert werden, belegen zweifelsfrei die Beobachtungen der Entnahme von Baumsaft mit der Zunge. Bei den Bienen handelt es sich um drei Weibchen von Andrena clarkella (gut kenntlich an der dunkelbraunen Mesonotum-Behaarung und der rostroten Schienenbürste), um ein Männchen von Andrena cf. minutula und um ein weiteres Andrena-Exemplar, das ich artlich nicht zuordnen kann. Die Flügelränder der Andrena clarkella sind noch völlig unversehrt. Vermutlich waren diese Weibchen erst vor kurzem geschlüpft und hatten noch nicht mit dem Nestbau und der Versorgung der Brutzellen begonnen. Die Art war schon in den 1990er Jahren von Michael Kuhlmann (1999) im Bayerischen Wald nachgewiesen worden. Lichte Wälder, Windwürfe und Waldränder sind charakteristische Lebensräume.
Von der Honigbiene ist bekannt, daß sie die durch Wurzeldruck verursachte Ausscheidung von Xylemsaft in Tropfenform (Guttation), meist an Blättern, aufnimmt (Pistorius et al. 2012). Von Hornissen ist schon lange bekannt, daß sie den ausfließenden Baumsaft von Birken und Eichen trinken (z. B. Blüthgen 1961). Außerdem werden sie regelmäßig beobachtet, wie sie die Triebe des Flieders (Syringa vulgaris) ringeln, um an den süßen Zuckersaft heranzukommen (eig. Beob., zahlreiche Schilderungen im Internet). Bislang war mir nicht bekannt, daß auch Wildbienen den aus dem holzigen Leitgewebe (Xylem) von gefällten Bäumen austretenden Saft aufnehmen, obwohl solch ein Verhalten naheliegend ist. Wie C. Heibl berichtet, hielt der »Nachschub« des Saftes bei der Birke noch lange an, da diese im Wasser stand.
Ich möchte anregen, auf ähnliche Verhältnisse wie hier beschrieben zu achten und mir gegebenenfalls über eigene Beobachtungen zu berichten.
Ein Nistplatz der auf Salix (Weiden) als Pollenquelle spezialisierten, im zeitigen Frühling fliegenden Andrena clarkella ist auf dieser Seite und auf dieser Seite zu sehen.
Blüthgen, P. (1961): Die Faltenwespen Mitteleuropas (Hymenoptera, Diploptera). – Abhandlungen der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Klasse für Chemie, geologie und Biologie, Jg. 1961, Nr. 2, 251 S.
Kuhlmann, M. (1999): Besiedlung von
Windwürfen und abgestorbenen Waldflächen im Nationalpark Bayerischer Wald
durch Wildbienen und aculeate Wespen
(Hymenoptera Aculeata). – Bericht Naturf.
Ges. Bamberg 73: 65–94.
Pistorius, J., Brobyn, T., Campbell, P., Forster, R., Lortsch, J.-A., Marolleau, F., Maus, C., Lückmann, j., Suzuki, H., Wallner, K. & Becker, R. (2012): Assessment of risks to honey bees posed by guttation. – Julius-Kühn-Archiv 437: 199–208.
Dank: Herrn Dr. Christoph Heibl danke ich herzlich für die Mitteilung seiner Beobachtungen und die Überlassung der Fotos.
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