Als ich am 4. September 2015 während eines Urlaubs an der Westküste Irlands mittels Internet und Smartphone-App das Schwäbische Tagblatt las, überraschte mich ein Beitrag, der überschrieben war mit »Unbekannte im Nistkasten« (siehe Abbildung). Er war mit einem Foto illustriert, das offensichtlich niemand zu deuten wußte. Doris und Werner Haug aus Rottenburg hatten das für sie rätselhafte Phänomen der Lokalzeitung gemeldet, die in dem Beitrag die Tagblatt-Leser fragte, ob jemand wisse, um welches Lebewesen es sich handeln könnte.
Artikel im Tagblatt vom 4. September 2015.*
In einem am gleichen Tag geführten Telefonat mit der Redaktion und mittels einer trotz schlechter Internetanbindung möglichen E-Mail konnte ich dem Tagblatt des Rätsels Lösung mitteilen. Erkannt hatte ich die Garten-Wollbiene als Verursacherin des Ganzen anhand der Färbung des »Wolleknäuels« und dem vor dem Häuschen angehäuften Kleinteilen. Am 12. September 2015 erschien dann in der gleichen Zeitung ein Beitrag der Lokalredakteurin Hete Henning, der mit einem Foto, das ich der E-Mail beigefügt hatte, illustriert war (siehe Abbildung).
Artikel im Tagblatt vom 12. September 2015.*
Nach meiner Rückkehr gab mir das Ehepaar Haug am 14. September die Möglichkeit, das auf einem Fenstersims auf der Ostseite des Hauses stehende Deko-Häuschen mit dem Nest selbst in Augenschein zu nehmen. Frau Haug schilderte mir die Fundumstände und überließ mir freundlicherweise das Nest für weitere Untersuchungen. Diese ergaben den nachfolgend beschriebenen Befund, der in zwei Galerien mit jeweils sechs Bildern dokumentiert ist. [Bei der ersten Galerie erhalten Sie eine vergrößerte Ansicht durch Klick auf ein Bild. Bei der zweiten Serie erfolgt der Bildwechsel durch einen Klick auf einen der schwarzen Punkt oder auf den Pfeil.]
Das Deko-Vogelhäuschen maß nur 10x7cm. Wie mir einige Leser berichteten, erweckte die Abbildung in der Zeitung den Eindruck, es sei deutlich größer. In der runden, 2 cm weiten Eingangsöffnung ist ein Teil des Nestes aus Pflanzenhaaren zu sehen mit den charakteristischen rostroten Flecken, die von dem Aufbringen eines pflanzlichen Drüsensekret herrühren (siehe die Tagebuchnotizen auf dieser Seite) [Bild 1]. Vor dem Häuschen lag ein kleiner »Berg« von Kleinteilen: Erdbröckchen von einem nur wenige Meter entfernten Beet, dürre Nadeln einer auf diesem Beet wachsenden Eibe, Steinchen, Holzstückchen, winzige, teilweise zerbrochene Häuschen einer Schließmundschnecke [Bild 2]. Nachdem ich das Dach entfernt hatte, fand ich unmittelbar darunter das Nest, das nur auf einer Seite mit Drüsensekreten versehen war (rostroter Teil) [Bild 3]. In diesem Teil des Nestes lagen zwei Kokons, aus denen die Bienen aber bereits geschlüpft waren [Bild 4]. Die genauere Untersuchung der Kokons ergab, daß es sich um Kokons von Anthidum manicatum, der Wollbiene also, handelte, nicht um solche der bei ihr schmarotzenden Düsterbiene Stelis punctulatissima, die eine andere Form haben. Da das Nest im Juli aufgrund der angehäuften Erdbröckchen etc. entdeckt wurde und letztere nach Aussage von Doris Haug im Frühling noch nicht vorhanden waren, kann das Nest nur von 2015 stammen. Daß die Wollbienen noch im gleichen Sommer geschlüpft sind, ist ein weiterer Beleg für die schon früher von mir geäußerte Vermutung, daß Anthidium manicatum zumindest partiell in einer 2. Generation auftritt.
Wie schon in dem ersten Zeitungsbeitrag erwähnt, war das Häuschen unter dem Nest ebenfalls mit allerlei Kleinteilen gefüllt [Bild 5]:
Ich zählte: 595 Erdbröckchen, 111 Nadeln einer Eibe, 103 Holzstückchen, 97 Teile von dürren Blättchen und Fruchtständen, 39 Steinchen und 1 Schneckenhäuschen, insgesamt 946 Stückchen. Das Weibchen ist deshalb allein für den Schutzwall 946-mal zum Sammeln des Materials geflogen!
Die Kleinteile bildeten offensichtlich den Schutz eines weiteren Nestes, das darunter auf dem Boden des Häuschens lag und einen leeren Kokon enthielt [Bild 6]. Dieses Nest war vermutlich im Jahr zuvor (2014) gebaut worden. Möglicherweise hatte sich in der Brutzelle ein Weibchen entwickelt, das den verbleibenden Hohlraum über dem angehäuften Material als Nistplatz genutzt hat. Da nun aber für einen »Schutzwall« kein Platz mehr war, das Weibchen aber darauf programmiert war, einen solchen anzulegen, häufte es die Kleinteile einfach vor dem Häuschen an.
In der Ecke neben dem Wollbienennest hatte irgendwann ein Weibchen der Wegwespe Auplopus carbonarius begonnen, eine Lehmzelle zu bauen, die offensichtlich aber nicht verproviantiert und daher auch nicht verschlossen wurde [Bild 6]. Diese Wegwespe nutzt vorhandene Hohlräume unterschiedlicher Größe und Form zur Anlage ihrer Brutzellen.
Die folgenden sechs Bilder zeigen stark vergrößert, welche unterschiedlichen Kleinteile von dem Weibchen in das Häuschen für den Schutzwall eingetragen wurden.
Weitere Informationen über die Garten-Wollbiene gibt es im Steckbrief der Art.
Das Schwäbische Tagblatt (Rottenburger Post) hat das Thema nochmals aufgegriffen und die hier dargestellten Untersuchungsergebnisse in einem weiteren Artikel beschrieben.
* Verwendung der beiden Zeitungsartikel mit freundlicher Genehmigung der Zeitung "Schwäbisches Tagblatt" und von Herrn Werner Bauknecht.
Frau Doris Haug und Herrn Werner Haug danke ich für die Schilderung der Fundumstände und die Überlassung des Nestes.
Die hier dargestellten Befunde wurden am 10. März 2020 in Eucera Nr. 14 veröffentlicht.
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