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Verbreitung, Lebensraum und Blütenbesuch der Seidenbiene Colletes sierrensis

Nach der Erstbeschreibung von Colletes sierrensis durch Frey-Gessner im Jahre 1901 dauerte es neunzig Jahre, bis diese Art von mir im Schweizer Wallis in der Nähe der Stadt Sierre  wiederentdeckt wurde. Der Nachweis beider Geschlechter am 15.  August 1991 im Pfynwald und weitere Funde in Südfrankreich führten zur Erstbeschreibung des Männchens (Westrich & Amiet 1996). Seither habe ich mehrere Reisen nach Südfrankreich und Spanien unternommen, um zusätzliche Untersuchungen zur Verbreitung, Biologie und Ökologie durchzuführen. Ein aktueller Nachweis in Nordspanien wurde zusammen mit den Fundumständen bereits publiziert (Westrich & Westrich 2006). Zwischenzeitlich wurden alle in Südfrankreich gemachten Nachweise und Beobachtungen ebenfalls ausgewertet. Die daraus resultierenden Befunde und Schlußfolgerungen wurden von mir in folgender Arbeit  veröffentlicht:

Verbreitung, Lebensraum und Blütenbesuch der Seidenbiene Colletes sierrensis Frey-Gessner, 1901 (Hymenoptera, Apidae)

Erschienen ist die Publikation in den Entomologischen Nachrichten und Berichten, Band 52 (Heft 2), S. 85-91.  Download der Publikation pdf

Colletes sierrensis Männchen

Colletes sierrensis Männchen (Größe: 8–9,5 mm)

Colletes sierrensis Weibchen

Colletes sierrensis Weibchen (Größe: 8–10 mm)

Das Wichtigste aus dieser Arbeit wird nachfolgend dargestellt.

Horiontale und vertikale Verbreitung

Colletes sierrensis wurde im Rahmen einer mehrjährigen Untersuchung (1991–2005) an insgesamt 37 Fundorten nachgewiesen, von denen 34 in Südfrankreich, zwei in der Schweiz (Wallis) und einer in Nordspanien liegen.

Verbreitungskarte Colletes sierrensis

Nachweise (grüne Punkte) von Colletes sierrensis an insgesamt 37 Lokalitäten in der Schweiz (CH), in Frankreich (F) und Spanien (E).

Höhenverbreitung Colletes sierrensis

Höhenverbreitung von Colletes sierrensis nach 34 Fundorten in Südfrankreich: Der tiefste Fundort lag bei 247 m üNN, der höchste bei 1148 m. Die meisten Fundorte verteilen sich recht gleichmäßig auf Höhen zwischen 300 m und 1000 m.

Lebensraum

Colletes sierrensis wurde nur dort gefunden, wo auch die artspezifische Pollenquelle Odontites viscosus (Klebriger Zahntrost) wuchs. Der Lebensraum eines Vorkommens in Nordspanien wurde bereits in P. & L. Westrich (2006) beschrieben. Typische Lebensräume sind lichte Steineichenwälder oder Eichen-Kiefernwälder mit Quercus ilex (Stein-Eiche) und Pinus sylvestris (Wald-Kiefer) oder Pinus halepensis (Aleppo-Kiefer), außerdem Lichtungen und Säume des Steineichenwaldes und dessen Ersatzgesellschaften, vor allem trockene  Gariguen sowie in der montanen Stufe der Saum sommergrüner Eichenwälder mit Quercus pubescens (Flaum-Eiche) und trockenwarme Kiefernwälder.

Lebensraum von Colletes sierrensis in der Provence

Bestand von Odontites viscosus und Lebensraum von Colletes sierrensis bei Baudinard-sur-Verdon, 545 m (F, Dép. Var). (23. August 1996).

Weitere typische Lokalitäten, an denen Colletes sierrensis von mir gefunden wurde, sind in der nachfolgenden Foto-Galerie zu sehen. (Zum Starten auf eines der Vorschaubilder klicken.)

  • CH, Pfynwald östlich von Sierre, Kanton Wallis.
    In diesem lichten Kiefernwald mit Beständen von Odontites viscosus konnte ich 1991 die 1901 erstmals beschriebene Seidenbiene Colletes sierrensis wiederentdecken und erstmals auch die dazu gehörigen Männchen auffinden. (21. August 1991).
  • F, Moissac Bellevue NW Aups, Dép. Var, 590 m.
    Im Saum des Waldes mit Quercus ilex, Quercus pubescens, Pinus halepensis große Herden von Odontites viscosus. (2. September 2005).
  • F, Gorges de la Méouge, Dép. Alpes-de-Haute-Provence, 560 m.
    An lichten Stellen des Laub-Buschwaldes finden sich fast stets kleiner oder größere Bestände von Odontites viscosus. (31. August 1996).
  • F, Gorges de la Méouge, Dép. Alpes-de-Haute-Provence, 670 m.
    Auf einer durch Niederwald-Nutzung entstandenen Lichtung blühen unzählige Exemplare von Odontites viscosus. (31. August 1996).
  • F, Gorges de la Méouge, Dép. Alpes-de-Haute-Provence: Schwarzkiefer-Aufforstung (Pinus nigra), 700 m.
    An lichten Stellen sind die Bestände von Odontites viscosus zu erkennen. Wenn die Kiefern höher werden und der Krautschicht immer weniger Licht zur Verfügung steht, verschwindet der Klebrige Zahntrost und mit ihm Colletes sierrensis. (31. August 1996).
  • F, Gorges de la Méouge, Dép. Alpes-de-Haute-Provence, 670 m.
    Bei der enormen Häufigkeit des Klebrigen Zahntrosts in der Provence verwundert es, daß offensichtlich bislang niemand die Blütenbesuchergemeinschaft dieser Pflanze untersucht hat. Der Botaniker Bolliger führt nur Honigbienen und eine "unbekannte kleine Hummelart" an. (2. September 1998).
  • F, Gorges de la Méouge, Dép. Alpes-de-Haute-Provence, 650 m.
    Charakteristischer Lebensraum von Colletes sierrensis auf den Hängen, die den Fluß Méouge begleiten. Fast überall, wo der Eichenwald lichter ist, stehen mehr oder weniger hohe Exemplare von Odontites. Bei trockenem, sonniger Wetter kann man hier von Mitte August bis Mitte September ab ca. 10.00 morgens beide Geschlechter von Colletes sierrensis antreffen. (2. September 1998).
  • F, Monzpezat, Dép. Alpes-de-Haute-Provence, 450 m.
    Dort, wo im Kiefernwald nur noch wenig Licht bis zur Krautschicht vordringt und wo der Untergrund besonders trocken ist, entwickeln sich meist nur kleinere Exemplare von Odontites viscosus. (23. August 1996).
  • F, La Bastide de Jourdans, Dép. Vaucluse, 600 m.
    Mit Steineichen durchsetzter Mischwald; im Unterwuchs Pfriemenginster, Lavendel und Buchs. Lockere Bestände von Odontites viscosus. (4. September 2005).
  • F, Jouques, Dép. Bouces-du-Rhone, 500 m.
    Der Autor inmitten eines Zahntrost-Bestandes am Rande einer Garigue. (2. Septemer 1999).
  • F, Chaine des Alpilles, Pas de la Figuière N Aureille an der D25 (Dép. Bouches-du-Rhone). Höhe: 247 m.
    Am Rande einer Garigue (Bildmitte) (Pinus halepensis, viel Rosmarinus officinalis, Juniperus oxycedrus, Cistus albidus, Quercus ilex, Quercus coccifera, Buxus sempervirens und besonders reichlich der strauchige Bupleurum fruticosum) ein größerer Bestand von Odontites viscosus (Tausende von Pflanzen). Bei dichtem Bewuchs bis zu 30 Exemplare je Quadratmeter und einzelne Pflanzen bis 60 cm hoch. Tiefstes bei den Untersuchungen festgestelltes Vorkommen von Colletes sierrensis. (28. August 1999).
  • E, San Salvador,  15 km N Olot. Höhe: 600-700 m.
    Dies ist der Fundort des ersten Lebendfundes von Colletes sierrensis in Spanien: Ein Hang bei Sant Salvador de Bianya etwa 15 km nördlich von Olot in der Provinz Girona. Odontites viscosus wächst an lichten Stellen der Gehölze und vereinzelt auch zwischen den zahlreich anstehenden Felsen. (13. September 2004).
 

 

Blütenbesuch

Colletes sierrensis wurde von mir an insgesamt 37 Lokalitäten fast ausschließlich an Odontites viscosus beobachtet und dies gilt für beide Geschlechter. Zusammen mit den gesammelten Belegexemplaren summieren sich die Beobachtungen von Blütenbesuchen an den verschiedenen Fundorten auf viele hundert. Oft wurden Männchen und/oder Weibchen schon wenige Minuten, nachdem ein Wuchsort von Odontites viscosus gefunden wurde, entdeckt. Die Männchen nutzten diesen Zahntrost einerseits zur Eigenversorgung mit Nektar, andererseits patrouillierten sie bei sonnigem Wetter ununterbrochen an dessen Infloreszenzen und versuchten immer wieder erfolglos, sich mit Weibchen zu paaren.

Odontites viscosus

Blühendes Exemplar von Odontites viscosus (Klebriger Zahntrost) am Rande eines Eichenwaldes der Gorges de la Méouge. Oft findet sich die Art auf steinigem Untergrund. Vor allem in den französischen Départements Alpes-de-Haute-Provence, Hautes-Alpes, Var und Vaucluse ist sie stellenweise ungemein häufig. In manchen Gegenden, so um den Canyon du Verdon, dürften alljährlich Hunderttausende blühen. Nach Bolliger (1996) kommt O. viscosus in der mediterranen Hartlaubstufe in lichten, oft felsigen Steineichenwäldern oder Eichen-Kiefernwäldern vor. Optimal ausgeprägt ist die Art in Lichtungen und Säumen des Steineichenwaldes sowie dessen sonnigen Ersatzgesellschaften, vor allem in trockenen  Gariguen zwischen Kleinsträuchern.

Colletes sierrensis Männchen an Odontites viscosus

Colletes sierrensis Männchen beim Blütenbesuch an Odontites viscosus. Beachte die drüsige Behaarung des Stils und der Kelchblätter (Name!) und die basipetale Abblühfolge des Blütenstands (Aufblühen von oben nach unten).

Colletes sierrensis Weibchen pollensammelnd an Odontites viscosus

Colletes sierrensis Weibchen beim Pollensammeln an Odontites viscosus. Die Pollentransporteinrichtungen an Femur und Tibia der Hinterbeine sind bereits reichlich mit Pollen gefüllt. Beachte auch die Pollenkörner auf der Vorderseite des Kopfes.

Die Weibchen wurden beim Pollensammeln ausschließlich an Odontites viscosus festgestellt. Die lichtmikroskopische Analyse von 40 Pollenladungen von 18 Lokalitäten der Schweiz, Südfrankreichs und Spanien ergab, daß diese ausschließlich Pollen von Odontites viscosus enthielten, was durch den Vergleich mit aus Blüten entnommenem Pollen bestätigt werden konnte.

Colletes sierrensis ist somit eine streng oligolektische, auf Odontites viscosus spezialisierte Art. Dieses Verhalten macht diese Seidenbiene einzigartig unter den Bienen Europas.

Beim Pollensammeln steckt das Weibchen seinen Kopf in solche der 5–7 mm langen, hellgelben Blüten, die Pollen präsentierten. Der trockene Pollen wird von den nicht oder nur wenig aus der Krone herausragenden Antheren durch Berührung auf dem Vorderkopf abgeladen (Pollenernte), dann lehnt sich das Weibchen zurück, indem es sich mit den Hinterbeinen an der Pflanze anklammerte, bürstet mit den Vorderbeinen den Pollen aus und lagert ihn über die Mittelbeine in die Transporteinrichtungen der Hinterbeine (Femur, Tibia) um. An Blüten, von denen kein Pollen gesammelt wird, saugt es jedoch nur Nektar. In diesem Fall ist der Besuch kürzer und es erfolgt kein Auskämmen des Pollens. Die Weibchen fliegen im Gegensatz zu den Männchen viel langsamer zwischen den einzelnen Pflanzen, wohl um pollenpräsentierende Blüten besser zu orten. Sie stemmen das Hinterleibsende quasi als Widerlager beim Pollensammeln gegen den Blütenstiel und krümmten dabei den Hinterleib. Dabei werden die Petalen (Blütenblätter) vom Weibchen auseinandergedrückt.

Die nachfolgende Galerie enthält weitere Fotos des Blütenbesuchs.

  • Colletes sierrensis - Männchen an Odontites viscosus
  • Colletes sierrensis - Weibchen beim Anflug an einen Blütenstand von Odontites viscosus
    Während des Anflugs an die Blüten putzt das Weibchen mit den Vorderbeinen seinen Rüssel, der wie bei allen Colletes-Arten sehr kurz ist. (F, Ginaservis, 4. September 2005).
  • Colletes sierrensis - Weibchen an Odontites viscosus
    Auf diesem Foto ist gut zu sehen, wie der Pollen von den Staubbeuteln auf den Vorderkopf abgeladen wird. (F, Ginaservis, 2. September 2005).
  • Colletes sierrensis - pollensammelndes Weibchen an Odontites viscosus
    Nach dem Ernten des Pollens mit dem Vorderkopf lehnt sich das Weibchen zurück, bürstet mit den Vorderbeinen den Pollen aus den Kopfhaaren und befördert ihn mittels der Mittelbeine in die Transporteinrichtungen der Hinterbeine, in denen sich bereits eine größere Pollenladung befindet. Ein Teil des sehr trockenen Pollens fällt dabei herunter. Dieser ist unter der Biene als gelbe Pünktchen zu erkennen. (F, Ginaservis 2. September 2005).
  • Colletes sierrensis - pollensammelndes Weibchen an Odontites viscosus
    Das Weibchen steckt seinen kurzen Rüssel in eine sich gerade öffnende Blüte. (F, Ginaservis 2. September 2005).
  • Colletes sierrensis - pollensammelndes Weibchen an Odontites viscosus
    Auch auf diesem Foto ist zu sehen, daß der Pollen stets auf der Vorderseite des Kopfes abgeladen wird. (F, Ginaservis 2. September 2005).
 

Gegenspieler

An vier Lokalitäten wurde die Filzbiene Epeolus cruciger zusammen mit Colletes sierrensis nachgewiesen. An teilweise vermoosten, teils offenen Bodenstellen, an denen auch sierrensis-Weibchen ihrem Verhalten nach zu urteilen auf Nistplatzsuche waren, flogen kleine Exemplare der Kuckucksbienen-Weibchen in typischem Suchflug. An diesen Stellen wurden keine anderen Colletes-Arten gesichtet. Einmal wurde ein Epeolus-Männchen beobachtet, wie es einen Stengel von Odontites viscosus anflog und seinen Hinterleib an dem Stengel rieb, vermutlich um ihn mit Dufstoffen zu markieren.

Epeolus cruciger Weibchen

Epeolus cruciger Weibchen. Charakteristisch für die Vertreter der Gattung Epeolus sind die cremeweißen filzartigen Haarflecken auf den Tergiten (Rückensegmente).

Dank

Ganz besonders möchte ich meiner Frau Lucia danken, die mich fast auf allen meinen Forschungsreisen begleitet hat und mich trotz langer Autofahrten und anstrengender Feldarbeiten stets unterstützt hat. Prof. P. Rasmont (Mons) gab mir wertvolle Hinweise zu einer Lokalität, an der er, ohne es zu wissen, das erste Belegtier für Frankreich gesammelt hatte (in coll. Warncke im Biologiezentrum Linz). Herrn Mag. F. Gusenleitner (Linz) danke ich für die Möglichkeit, die Sammlung Warncke bearbeiten zu dürfen. Auch F. Amiet (Solothurn) und Dr. A. Müller (Zürich) danke ich für die Mitteilung ihrer Beobachtungen und für hilfreiche Diskussionen.

Literatur:

Bolliger, M. (1996): Mongraphie der Gattung Odontites (Scrophulariaceae) sowie der verwandten Gattungen Macrosyringion, Odontitella, Bornmuellerantha und Bartsiella. – Willdenowia 26: 37–168.
Westrich, P. & Amiet, F.  (1996): Der taxonomische Status von Colletes sierrensis Frey-Gessner 1901 mit Beschreibung des noch unbekannten Männchens (Hymenoptera, Apidae). – Linzer biologische Beiträge 28: 1161–1167
Westrich, P. & Westrich, L. (2006): Neues zur Verbreitung und Ökologie von Colletes sierrensis Frey-Gessner, 1901 (Hym., Apidae). – Entomologische Nachrichten und Berichte  50 (1/2): 63–64.
Weitere Schriften im Literaturverzeichnis der Publikation.

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29. November 2008